„Man muss sich vielleicht auch mal davon lösen, dass die Leute mit Scheuklappen rumlaufen. „

Stephan Lill im Interview – Gitarrist von Vanden Plas und Komponist von „Ludus Danielis“

Stephan Lill„Etwas schüchtern wirkt er“, so mein erster Eindruck von Stephan Lill. Der große schlanke Mann mit den glatten, dunkelblonden Haaren, die weit über die Schultern wachsen reicht mir die Hand zur Begrüßung. Ich kann in diesen blauen Augen Interesse und Neugierde erkennen und doch kann ich ihn noch nicht einschätzen. Vielleicht irritiert es mich auch, dass nicht eine große finstere Figur in Leder-Rocker-Kluft vor mir steht, sondern ein ganz normaler Mann mit schwarzem Kapuzenshirt und dunkler Jeans in braunen Halbschuhen. Fast tonlos wirken die ersten Sätze, die in den Bereich Smalltalk fallen. „Ernst wirkt er auch“ so ein weiterer Gedanke von mir. Aber bereits nach den ersten Sätzen im Interview wird schnell wird klar, hinter diesen Eindrücken steckt nicht nur ein großartiges Talent, der sein Handwerk als Gitarrist und Komponist von „ChristO“ meisterhaft beherrscht, sondern auch ein cleverer Kopf mit umfangreichen musikalischen Hintergrundwissen. Unabhängig, ob er über „ChristO“ oder „Ludus Danielis“ spricht, seine Augen werden lebendig, er bekommt ein leichtes Lächeln auf den Lippen. Von wegen schüchtern- die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus. Von wegen tonlose Stimme- seine Erzählungen bekommen Farbe, Klang und Schwingungen… Stephan Lill ist seine Begeisterung, Liebe und Überzeugung zu seiner Arbeit  ins Gesicht geschrieben. Und wer ihn am Ende der Show, wenn er mit der Band aus dem Orchestergraben auf die Bühne tritt ansieht, dem wird eines schlagartig klar: Dieses sympathische Lachen und glückliche Strahlen verdient den tosenden Applaus des Publikums.

Erzähl uns doch einfach mal ein bisschen über Inhalt und Entstehung von „Ludus Danielis“.

S: „Ludus Danielis“ beschreibt zwei Legenden aus dem Buch Daniel. Es handelt sich um eine biblische Geschichte. Im Mittelpunkt steht der Prophet Daniel, der am Hof des babylonischen Königs Belsazar durch Intrigen in einer Löwengrube landet, die Gefahr Dank der Kraft seines Glaubens jedoch überlebt und gerettet wird. Andy spielt den Propheten Daniel. Johannes Reitmeier, der Intendant von Kaiserslautern, kam mit der Idee zu Günter Werno (Keyboarder von Vanden Plas). Günter hat die musikalische Leitung bei „Ludus“. Er begann zunächst die Musik alleine zu verfassen. Irgendwann hat er gemerkt das es doch wird etwas viel wird. Letztlich besteht Ludus aus insgesamt 26 Liedern. Er kam auf mich zu und sagte er hätte schon einige Songs geschrieben. Es würde jetzt einfach viel und knapp werden und so bin ich in den Songwritingprozess mit eingestiegen. Es entwickelte sich dann so, dass Günter aufgrund von Änderungen auf der Bühne beispielsweise Songs neu arrangieren musste oder meinte, er bräuchte jetzt noch einen Song, der in einer bestimmten Stilrichtung geschrieben werden müsste. Es war dann meine Aufgabe, Lieder zu liefern und Günter hat diese dann entsprechend der szenischen Darstellung arrangiert hat. Er besprach die Songs immer genau mit Johannes Reitmeier und so war es ein langer, aber auch produktiver Arbeitsprozess bis das Stück dann auf der Bühne war. Ludus Danielis ist übrigens auch eine Uraufführung.

Du sagtest eingangs ein lateinisches Rockoratorium? Wie löst ihr das Problem mit den Übersetzungen für die Zuschauer?

Wenn man etwas Neues erschafft, da denkt man erst mal „mal schauen, was draus wird“. Aber man muss sich das Stück einfach anschauen, es klingt sensationell. Wir haben zum Teil 60 Leute auf der Bühne, einen riesigen Chor. Es gab bisher sehr viele positive Resonanzen, es ist unglaublich, denn das Ganze war wirklich ein Wagnis.

Wie muss man sich die Musik bei einem religiösen Oratorium im Metalstyle vorstellen?

Stephan LillDie Musik geht in die Richtung von Vanden Plas, sie ist aber nach allen Seiten offener. Sie beinhaltet auch mittelalterliche Aspekte. Wir haben zusätzlich zur Band noch eine Geigerin und einen Flötisten dabei. Das geht zum Teil in die mittelalterliche, auf der anderen Seite aber auch in die Rammstein-Ecke. Man muss sich bei den härteren Songs 50-60 Leute vorstellen, die in einer Choreografie wie Krieger über die Bühne marschieren – das geht, natürlich koordiniert, kreuz und quer, und sieht einfach beeindruckend aus. Wir sehen das von oben, weil die Musiker bei manchen Songs auf dem Podium nach oben gefahren werden. Musikalisch wechselt es zwischen richtig harten Songs und fast schon zerbrechliche Balladen. Das war das Wagnis. Doch auch die Idee mit den lateinschen Texten kommt gut an. Aufgelöst wird die Handlung mit Überschriften, natürlich wird sie auch im auch Programmheft erklärt. Das Gute an dem Stück ist, das man die Story auch trotz lateinischer Sprache gut versteht. Durch die Darsteller, wie die Leute miteinander auf der Bühne agieren oder durch die großen Bilder, die Johannes Reitmeier immer perfekt in Szene setzt. Auf der Bühne wird oft mit großen Bildern gearbeitet, und das Publikum ist wirklich immer sehr beeindruckt von seinen Ideen. Es ist in mancher Hinsicht gegenteilig zu ChristO. Hier ist es, bis auf die große Ballszene am Anfang des Stückes, auf die 9 Hauptdarsteller reduziert. Bei Ludus Danielis ist jede zweite Szene groß angelegt. Und die groß arrangierten lateinische Chöre hören sich wirklich gigantisch an.

Beschreibe doch einfach mal: wie war für Euch die Zeit vor der Premiere?

Natürlich hatte jeder auch etwas Bammel vor dieser Premiere, aber es hat echt gut geklappt. Die Musik ist aber so angelegt, das es neben den rockigen Songs auch sehr viele Momente gibt, die sehr balladesk und zurück genommen sind. Es ist bisher gut angekommen und wir sind wirklich froh, dass das Stück seinen Weg geht. Wie schon erwähnt spielt Andy den Propheten Daniel, und die Musik ist ihm einfach auf den Leib geschneidert. Er kommt, ebenso wie das gesamte Ensemble, sehr gut beim Publikum an. Wir hatten jetzt insgesamt knapp 15 Vorstellungen, allzu viele sind es nicht mehr. Dann müssen wir schauen, wie es danach weiter kommt, ob es danach eventuell an einem anderen Theater gespielt wird. Es wäre zu schade, wenn es das war.

Woran habt ihr Euch musikalisch angelehnt? War die Musik komplett frei gestaltet?

Stephan LillDie Geschichte ist ja schon sehr alt und ich glaube, es ist das älteste bekannte Oratorium. Die Ursprungsversion ist Mysterienspiel aus dem 13. Jahrhundert. Die Mönche aus dem Kloster von Beauvais haben die Musik und die lateinischen Texte verfasst. Ich habe eine Aufnahme gehört, wo versucht wurde, diesen Stil nachzuahmen. So bekamen wir einen ersten Eindruck, wie es geklungen haben könnte. Unsere erste Aufgabe bestand darin, den Text von der ursprünglichen Musik loszulösen. Es musste zwingend eine neue Musik dazu komponiert werden, wir wollten das bewusst in eine andere Richtung bringen. Auch Johannes Reitmeier wollte das anders, er hatte schon eine ganz bestimmte Vision davon, wie es klingen sollte. Wir waren uns also einig, dass wir uns von der ursprünglichen Version gar nicht erst beeinflussen lassen würden. Man muss die Texte nehmen und überlegen, um was es in dem Lied geht, was passt musikalisch zu dem Song. Ist es ein aggressiveres Showelement oder eher was Weiches? Soll es balladesk auf der Bühne angelegt werden? Oder marschieren da 50 Leute über die Bühne, dementsprechend muss die Musik angelehnt werden. Dazu kommen die lateinischen Texte, zu denen man zwecks Verständnis erst mal eine deutsche Übersetzung benötigte. Günter war da voll im Schaffensprozess drin. Er hat mir beschrieben, wie bestimmte Szenen aussehen sollen, und ich habe dann versucht, das dann musikalisch umzusetzen. Wie gesagt, zum Großteil hatte er dazu schon die Musik geschrieben. Ich habe hauptsächlich Songs für den 2. Akt beigesteuert.

War es nach/während „Abydos“ fest geplant „Ludus Danielis“ zu komponieren?

Nein, das war eben eher Zufall. Johannes Reitmeier kam mit dieser Idee auf uns zu. Wir kannten das Stück ja zuvor gar nicht. Wir spielten zu dieser Zeit noch „Jesus Christ Superstar“ in Kaiserslautern, und ich glaube nach einer Aufführung sprach Johannes Reitmeier Günter das erste mal auf Ludus Danielis an, mit der bewussten Vision, das Stück in einer neuen Version auf die Bühne zu bringen. Günter hatte dann 3-4 Lieder geschrieben, die er vor dem eigentlichen Produktionsbeginn Johannes Reitmeier vorspielte. Dieser meinte dann, das er die gewünschte musikalische Richtung getroffen hat. Und somit war die Basis gelegt.

Wie regiert Dein Umfeld auf die Veränderung den Schwerpunkt Deines Schaffens nun in die Theaterarbeit zu legen?

Ich lerne so viele Leute kennen, auch Ältere, die sagen, sie hätten nie gedacht, dass sie sich jemals so ein Musical ansehen würden. Und fügen hinzu, das es ihnen sehr gut gefallen hat. Ich habe Bekannte, die eher zu den klassischen Theatergängern zu zählen sind. Auch sie geben mir dann ein Feedback und erzählen mir wie es ihnen gefallen hat, wenn sie in einer Aufführung waren, in der ich gespielt habe. Es ist natürlich schön, wenn diese Leute dann sagen, das sie ein bestimmtes Stück gut fanden. Man muss sich vielleicht auch mal davon lösen, dass die Leute mit Scheuklappen rumlaufen. Die Leute, die jetzt so 60 Jahre alt sind, die haben ja in den 60’er/70’er Jahren eventuell auch angefangen, Rock- und Popmusik zu hören. Warum sollen sie, nur weil sie 60 sind, ausschließlich Klassik hören? Die haben sich vielleicht damals auch „Hair“ oder „JCS“ angesehen und standen auf die Beatles und Rolling Stones. Wir sind ja nur die logische Weiterentwicklung von dem was damals populär war. Jemand, der in 10 Jahren, 50 Jahre alt ist, der wurde 1968 geboren und ist z.B. auch mit Rockbands wie AC/DC aufgewachsen. Rock- und Popmusik und Theater, das wird sich immer mehr verzahnen. Es ändert sich ja auch viel. Es tut sich was, aber man muss den Leuten auch die Chance für etwas neues geben. Ich sehe diese Veränderungen ja auch bei meinen Gitarrenschülern. Jugendliche, von denen ich es eher weniger vermutet hätte, die kommen und sagen das sie in Ludus Danielis waren. Das zu hören finde ich echt toll! Ich war in dem Alter nicht im Theater. Aber ich denke, Jugendliche sind da heute viel offener. Ich meine, wenn man früher als 15-jähriger gesagt hätte, ich gehe ins Theater….

Stephan LillIch finde ja Eure Mischung Metal im Theater mit Einbindung von Chören gigantisch. Es hat was monumentales und fast hymnisches …

Rhapsody ist z.B. eine Band, die sehr viel mit großen Chören arbeitet. Für manche Hörer vielleicht etwas zu viel, aber das ist eine Trademark, und den Leuten gefällt es, weil die Qualität stimmt. Das ist eine Musik-Sparte, da gehört das einfach dazu. Wir waren mit Vanden Plas von Anfang an fasziniert von „Jesus Christ Superstar“. Als wir das Stück 1992 das erste Mal am Staatstheater in Saarbrücken spielten, da wussten wir genau, diese Atmosphäre, die wollen wir in Zukunft auch in unseren eigenen Songs haben. So haben wir unseren Weg zum Theater gefunden. Am Pfalztheater in Kaiserslautern gibt es einen prima Chor, die Leute engagieren sich und singen toll. Als wir an ChristO-CD gearbeitet hatten, haben wir die Chorparts zuerst am Computer simuliert, aber es war schnell klar, das wir an bestimmten Stellen einen richtigen klassischen Chor benötigen. Wir haben das dann für den Chor arrangiert, die Chormitglieder bekamen ihre Stimmen und dann haben sie das für uns eingesungen. Es ist jetzt natürlich subjektiv, aber ich finde das kommt auf der CD richtig gut rüber. Vielleicht auch, weil es gezielt an bestimmten Stellen in den Songs eingesetzt wird. Aber gut, das ist Geschmackssache.

Vielleicht hat die neue Platte ja auch mehr Chöre, wer weiß, das werden die neuen Lieder zeigen.

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