Es sind nur noch knapp vier Monate hin bis am 29.01.2010 der Vorhang im Stuttgarter Palladium Theater fällt und das letzte Mal das Land Oz seine Besucher im stylischen Grün begrüßt. Erst ab März wird eine reduziertere Wicked-Show in Oberhausen, tourähnlich, eine Wiederaufnahme erleben.
MJF war neugierig, was sich seit der Premiere in Sachen Show und Castwechsel getan hat und hat- im Zuge eines Interviews mit Fiyero-Hauptdarsteller Mathias Edenborn- die Show angesehen und zieht nun Zwischenbilanz.
An diesem Abend spielte die Rolle der Elphaba Roberta Valentini statt Willemijn Verkaik. Als Glinda war, wie seit der Premiere auch, Lucy Scherer zu sehen und als Fiyero konnte man Mathias Edenborn erleben, der in die Fußstapfen von Mark Seibert (derzeit Ranger in „Der Schuh des Manitu“/Berlin) trat.
In den weiteren Rollen:
Madame Akaber: Barbara Raunegger
Zauberer von Oz: Carlo Lauber
Nessarose: Lanie Sumalinog
Dr. Dillamonth: Michael Günther
Moq: Stephan Luethy
Die Geschichte von „Wicked – die Hexen von Oz“ ist weitreichend bekannt. Von daher wird auf eine Erklärung an dieser Stelle verzichtet. Interessanter ist, wie sich die Darsteller in ihren Rollen entwickelten oder einlebten.
Da wäre also Roberta Valentini, alternate Besetzung Elphaba. Es ist kein Geheimnis, wenn man sagt, dass es besonders schwer ist in die Fußstapfen von Willemijn Verkaik zu treten und die Rolle zu verkörpern. Die Bürde, die auf Valentini lastet ist immens, zumal Verkaik international als DIE ideale Elphaba gehandelt wird und dort sogar auf den Werbemonitoren ausgestrahlt wird. So hat Valentini ihrer Hexe klugerweise keinen Hauch von Verkaik-Kopie verliehen, sondern gibt ihrer Rolle auf ihre ganz eigene und andere Weise magische Ausstrahlung. Etwas härter und zielgerichteter tritt sie auf. Auseinandersetzungen wirken aggressiver in ihrem Spiel. Dadurch wirkt auch das Zusammenspiel mit Glinda und Fiyero neu und auf seine Weise erfrischend anders. Valentini schafft es als Elphaba zu überzeugen und eine stimmstarke Show zu liefern. Ihre Aussprache ist zu jedem Zeitpunkt hervorragend zu verstehen. Zwar sind in manchen Szenen die Pointen noch ausbaubar und punktgenauer zu setzen, dennoch, ist sie eine rundum gelungene grüne Hexe, die ihren Applaus verdient hat. Besonders ihr „Ich bin es nicht“ rührt und bei „Wie ich bin“ mit Lucy Scherer könnte man sogar Stecknadeln fallen hören.
Lucy Scherer ist der „alte Hase“ in den Hauptrollen. Nach wie vor ist sie die Idealbesetzung der Glinda. Wirkt sie hier und da in den Textpassagen ein wenig zu überzogen und quietschig, so ist es doch genau die Nuance, die eine Glinda präsentieren muss. Ihr Gesang sowie ihre schauspielerische Leistung lässt keine Kritik zu. Ihr niedliches, teils naives aber auch berechnende Glinda-Wesen kann sie überzeugend und zum großen Amüsement der Zuschauer übermitteln. Ihr „Heißgeliebt“ ist nach wie vor Publikumslacher. Die Lachmuskeln strapaziert sie auch, wenn sie den Zauberstab einmal mehr reanimieren möchte oder schlacksig ungalant über die Bühne hüpft. Die Wandlung, wenn sie am Ende Gefühle zeigt und somit beweist, dass sie doch nicht so materialistisch und oberflächlich ist, wie sie auf den ersten Blick erscheint, kann sie überzeugend spielen. Scherer hat sich in ihre Rolle längst eingelebt und erntet am Ende tosenden und langanhaltenden Applaus.
Mathias Edenborn ist seit dem 18.09.08 Fiyero im Musical. Er wechselte also Mark Seibert ab, der zu „Der Schuh des Manitu“ nach Berlin gegangen ist, um dort in die Rolle des Ranger zu schlüpfen. Edenborn hat bereits große Partien/Hauptrollen wie Graf von Krolock in „Tanz der Vampire“, Benvolio in „Romeo & Julia“, Javert in „Les Miserables“ oder Radames in „Aida“ gesungen. Nun ist es die etwas kleinere Rolle des Fiyero, die er dennoch großartig verkörpert. Er verleiht seinem Charakter eine große Portion mehr Humor und Witz. War Seiberts tänzerisches Können eher Steckenpferd, so schafft es Edenborn überzeugend den „aufrechten selbstverliebten und zutiefst oberflächlichen“ Prinzen zu spielen. Trotzdem wirkt er sympathisch und charmant. Man versteht, weshalb sich die beiden Hexen um ihn streiten. Er jongliert mit kleinen Mimiken und Gestiken, bringt das Publikum reihenweise zum Schmunzeln und kann seine Entwicklung vom arroganten bis zum liebenswürdigen Fiyero überzeugend ausspielen. Das Zusammenspiel mit Elphaba in „Solang ich Dich hab“ wirkt „aufrichtig“ verliebt. Aber auch die Verlobungsszene kann er humorvoll umsetzen, wenn er überrollt durch Glindas indirekten Heiratsantrag, beinahe panisch nach Luft wringt und sich den Anzugkragen lockert. Edenborn wirkt zu jedem Zeitpunkt mit seinen weiblichen Bühnenpartnerinnen gelungen und harmonisch. Auch stimmlich passen die drei Hauptrollen wunderbar zusammen und werden daher verdient euphorisch beim Schlussapplaus gefeiert.
Barbara Raunegger als Madame Akaber hat es wie alle Makaberdarstellerinnen anscheinend sehr schwer, dem Publikum die zahlreichen Wortwitze verständlich zu vermitteln. Sie sprüht in ihren Dialogen förmlich vor anspruchsvollen Zweideutigkeiten, doch rechte Lacher wollen bedauerlicherweise nicht aufkommen. Dabei macht Raunegger ihre Sache wirklich anerkennenswert gut. Sie bringt ihre Pointen punktgenau, das Schauspiel hierzu stimmt und auch gesanglich gibt es nichts zu kritisieren.
Carlo Lauber, eigentlich reiner Schauspieler, hat als der Zauberer von Oz seit der Premiere auch stimmlich richtig gut zugelegt. Sicherer und stärker wirkt er im Gesang. Schauspielerisch und optisch ist er ein idealer Zauberer, wie man ihn sich so vorstellt. Sein Witz kommt nach wie vor beim Publikum. Wie er seine Intrige mit Madame Akaber ausklügelt ist noch immer wunderbar überzeugend umgesetzt.
Als Nessarose war Lanie Sumalinog zu erleben. Sie verleiht ihrer Rolle einen ganz anderen Touch als Janine Tippl oder wie es einst Nicole Radeschnig gelang. Sie hat immens an Deutlichkeit ihrer Aussprache in Text und Gesang gewonnen und auch ihr Schauspiel hat sie gelungen deutlicher mit mehr Selbstbewußtsein ausgebaut. Eine tolle Entwicklung, die gelungen ist, überzeugt und viel Applaus verdient.
An ihrer Seite in der Rolle Moq war Stephan Luethy zu sehen. Er ist optisch eine hervorragende Besetzung, die er mit viel Witz und Humor und tollem Schauspiel koppelt. Gerade dann, als er Glinda wieder einmal nachläuft und merkt, dass er größer erscheinen muss um ihre Aufmerksamkeit zu wecken, hat er einen tollen Plan. Gewitzt stellt er sich auf eine Stufe, damit seine Angebetete zu ihm aufsieht. Das erntet reihenweise Lacher. Überhaupt wirkt Luethy sehr „knuffig“ und naiv-lieb in seiner Rolle, die er wirklich überzeugend spielt.
Michael Günter spielt seine Rolle als Dr. Dillamonth schon seit der Premiere wunderbar und einwandfrei. Der Charakter hat gesanglich kaum Parts, fordert aber schauspielerisch. Der Rolle ist eine tiefgehende Botschaft beigemischt, die Günter gut zu vermitteln weiß. Sie mag auf den ersten Blick weniger spannend für den Zuhörer sein, dennoch ist der Ziegenbock eine wichtige und unabdingbare Figur, die Günter hervorragend löst.
Nicht zu vergessen ist das schmissige und tanzstarke Ensemble, das sich um die Wicked-Solisten reiht. Ohne sie wäre das Gesamtbild in jedem Fall mager und weniger spektakulär. Es ist eine große Freude den Protagonisten und Tänzern zuzusehen. Eingespielt und überzeugend tanzen sie über die Bühne und verleihen der Show einen großartigen Ausdruck. Die Tanzsequenzen sind wunderschön in ihren Choreographien umgesetzt und auch das schauspielerische Talent der Künstler ist durchaus zu erkennen.
Fazit: Man kann „Wicked- die Hexen von Oz“ problemlos bestätigen, dass sich hier eine sehr positive und spannende Entwicklung mit mehr oder weniger neuen Künstlern vollzogen hat. Zudem muss betont werden, dass das Stück derzeit das aufwändigste Bühnenspektakel ist, das Deutschland zu bieten hat. Ob es nun das Bühnenbild betrifft oder auch die Kostüme, Wicked ist ein berauschendes Bühnenerlebnis, das man keinesfalls in seiner kompletten und ursprünglichen Fassung in Stuttgart verpassen sollte.
Die Besetzung hierzu ist nahezu perfekt ausgewählt und es ist dem Stück zu wünschen, dass es, wenn auch in leicht geänderter Fassung, in Oberhausen ebenfalls Erfolg und zahlreich Zuhörer findet.