„Sweeney Todd“ – ein mörderisches und blutiges Gemetzel. In Bayern wird „g’scheit hin g‘langt“ – hier darf das Blut quer über die komplette Bühne spritzen…
Wenn der Hunger nach Rache zu einem blutigen Massaker führt, dann ist auch die Vergeltung nicht weit. Doch was verwirrt einen Menschen so derart, dass er weder Grenzen noch Halt in seinem Handeln kennt?
„Sweeney Todd ist für mich nicht nur ein Höhepunkt des Genres, sondern ein Höhepunkt des Musiktheaters überhaupt… Es ist ein neoexpressionistischer Bilderbogen, der zwar mit Archetypen spielt, aber eine verblüffende Gegenwärtigkeit hat“ so Regisseur Christian von Götz. Der Komponist und Schreiber Stephen Sondheim bezeichnete sein Werk als tiefschwarze Operette. Doch von Götz hat in seiner Umsetzung des Bühnenstückes, wohlbemerkt unter Beachtung des „tiefschwarzen, britischen Humors“, den Schwerpunkt auf die Hauptfigur, Sweeney Todd und dessen tiefenpsychologische Verfassung gelegt. Sie entführt die Zuschauer zu einer Berg- und Talfahrt der Emotionen, bei der in die tiefsten Tiefen und Abgründe der Psychologie eines Rächers geblickt werden darf. Und es ist so, am Ende verlässt der Zuschauer das Theater mit einer Art Sympathie für den Charakter Sweeney Todd, ohne dessen Taten für gut zu halten – nein -, jedoch mit einer gewissen Art von Verständnis, wie weit Verzweiflung, Angst und Leid führen kann.
„Sweeney Todd“ ist Sondheims siebtes Werk von 1979. Hugh Wheeler hat das Buch zu dem Stück geliefert, nach einem Schauspiel von Cristopher G. Bond aus dem Jahre 1973. 1979 fand die Uraufführung New York statt. Erstaufführung in England folgte 1980. Deutschsprachige Erstaufführung erfolgte 1985 in Freiburg. 2007 stieß die Neuverfilmung „Sweeney Todd – der teuflische Barbier aus der Fleet Street“ von Tim Burton auf großes Interesse, was sicherlich zum großen Teil an der Besetzung mit Johnny Depp als Sweeney Todd lag. Seit dem 20.2.09 ist das Musical nun im Münchner Staatstheater am Gärtnerplatz in einer Uraufführung zu sehen.
Die Handlung:
London im 19. Jahrhundert. Der Barbier Benjamin Barker ist glücklich verheiratet und Vater eines Mädchens. Sein Geschäft betreibt er in der sogenannten Fleet Street, in einem Haus, oberhalb einer Pastetenbäckerei. Doch auf einmal gerät er in die Mühlen der Gesetzlosigkeit. Richter Turpin, der schon lange ein Auge auf Barkers Frau geworfen hat findet aufgrund seines „Vergehens“ einen Weg, den Barbier in die australische Verbannung zu schicken. Als Barker 15 Jahre später als Sweeney Todd zurückkehrt, erfährt er von Hören und Sagen, dass seine Frau tot sei. Seine herangewachsene Tochter wird als „Mündel“ seines Todfeindes Turpin gehalten. In Sweeney Todd keimt die Wut auf. Der Rachefeldzug beginnt. Schier wahnsinnig schmiedet er Pläne Turpin büßen zu lassen. Aus dem Opfer wird der Täter. Hilfe bekommt er von seiner neuen Frau in seinem Leben, Mrs. Lovett. Diese betreibt eine schlechtlaufende Pastetenbäckerei. Fleisch ist zu diesen Zeiten teuer aber die geschäftstüchtige Frau ist kreativ und so schlägt sie Sweeney Todd einen Deal der ungewohnten Art vor. Die Leichen, die Todd hinterlässt, müssen schließlich irgendwie beseitigt werden… Das Geschäft erlebt ungeahnten Aufschwung. Dass Mrs. Lovett ebenfalls dunkle Seiten hat, erfährt Todd zu spät.Er erkennt, dass all die Menschen, die ihm jemals etwas bedeuteten nicht mehr leben. Sein Rachefeldzug hat nicht die Genugtuung erbracht, die er sich erhofft hat und er sieht keinen Sinn mehr in seiner Existenz. Das Massaker endet in einem furiosen Finale…
Christian von Götz ist mit es mit der Inszenierung von „Sweeney Todd“ gelungen eine tiefschwarze Satire mit einer gesunden Mischung aus Humor, Sarkasmus und Ernsthaftigkeit auf die Bühne zu bringen. Zusammen mit Ausstatterin Karin Fritz und Chefchoreograph Hans Henning Paar wurde am 20.2.09 eine begeisterte Premiere gefeiert. Und auch Andreas Kowalewitz, der musikalische Leiter, führte sein Orchester den gesamten Abend hindurch mit Schwung und Kraft.
Und wieder ist ein Beweis geboren, dass ein kleines Theater imstande ist, durchaus mit den großen Produktionen mitzuhalten. Gerade in den letzten Jahren mausern sich diese Häuser immer mehr mit besonders kreativen, außergewöhnlichen und aufwändigen Inszenierungen in die Herzen der Theaterbesucher. Dort spürt man keine „Broadwayschmiede“, die stark daran interessiert ist, dass Shows auf allen Bühnen dieser Welt in identischer Ausführung zu sehen ist. Das liegt sicherlich ganz allein im Geschmack des Betrachters. Es ist jedoch durchaus bemerkenswert und anerkennenswert, dass in Zeiten, wo der Markt mit Broadwayhits überschwemmt wird, gerade diese Theater hochmotiviert und unbeirrt gelungene Inszenierungen produzieren. Die Bühne bei „Sweeney Todd“ bietet eine ansehnliche Ausstattung, bei der die gesamte Fläche genutzt wird. Zwei übereinander gestellte, freischwebende Container erwecken den Eindruck eines Parterres und einer zweiten Ebene. Wuchtige Drehwände und verschiedene Ebenen der Bühnenfläche warten mit ihrer gesamten Technik auf und beeindrucken. Und auch die Requisiten können sich in ihrem passenden und gut ausgewählten Einsatz sehen lassen. Ein wirklich sehenswerter Gesamteindruck.
Anders als in vielen Theaterinszenierungen sind es diesmal ausschließlich Sänger und Schauspieler aus dem Haus. Chor, Statisterie und Ballett sind in „Sweeney Todd“ bühnenstark und durchgehend vertreten. Alle Beteiligten erzeugen eine bombastische und gewaltige Stimmung und eine großartige Atmosphäre, denen an dieser Stelle für ihre gelungenen Einsätze bemerkenswertes Lob ausgesprochen werden muss.
Gary Martin zeigt einen „Sweeney Todd“, dem man seine Rolle glaubt. Man nimmt ihm ab, dass sich eine Mrs. Lovett in ihn verliebt, dass ihm ein Anthony vertraut, dass ihn ein Richter Turpin abgrundtief hasst, eine Bettlerin sich am liebsten anvertrauen würde und ein Tobias Ragg ihm misstraut. Er zeigt in seinem Spiel, dass er zu Recht die Titelrolle spielt. Seine Stimme hat Ausdruck und Kraft. Er versteht Power und Sanftheit im Wechsel einzusetzen und schafft es, kaum auf der Bühne in Erscheinung getreten, zu fesseln. Charakteristisch deckt er alle Facetten ab. Mal wütet er verbissen, ist dem Wahn verfallen, Rache auszuüben, im nächsten Moment ist sein Schauspiel an Ironie nicht zu überbieten, er zeigt Humor und bringt das begeisterte Publikum zum Lachen. Trotz aller Härte und hassverblendetem Verhalten leidet man mit seinem Schicksal. Gary Martin überzeugt in seiner Rolle, schauspielerisch sowie gesanglich. Er ist nahezu permanent auf der Bühne präsent, das allein fordert von einem Schauspieler einiges ab. Er meistert diese Herausforderung bravourös. Er ist ein Barbier -teuflisch genial – und, ich kann es mir an dieser Stelle einfach nicht verkneifen, er erinnert mit seinem weißen zusammen gebundenen Haar an Karl Lagerfeld. Als Gegensatz wirkt er zu seinem Herausforderer Adolfo Pirelli, ebenfalls Barbier,- der im Stil der unvergessenen Münchner Modeikone Rudolph Mooshammer agiert, sehr homogen. Mario Podrecnik verkörpert dieses Double. Der Kärtner schwebt bei seinem ersten Auftritt auf einer Schaukel auf die Bühne. Er lockt den Besuchern durchaus ein breites Lächeln auf die Lippen und hier und da lacht ein Zuschauer sogar laut und vergnügt auf, wenn Podrecnik als Starfriseur-Mooshammer-Double auf der Bühne agiert oder gesanglich als Figaro auf Hochtouren läuft. Sein Spiel ist amüsant, ebenso sein italienischer Akzent. Er wirkt erfrischend und jung, ohne jemals auch nur ironisch oder lächerlich zu wirkden, oder der offensichtlich inspirierten menschlichen Verkörperung Mooshammers zu nahe zu treten. Er ist durchaus ein Hingucker und tut der sonst so schwarz-satirischen Story in Sachen Humor hörbar und spürbar gut. Schade, dass die Rolle nur von kurzer Lebensdauer ist.
Der Applaus ist beinahe ohrenbetäubend, als Mrs. Lovett, oh pardon, Marianne Larsen die Bühne beim Schlussapplaus betritt. Sie selbst zuckt dabei überrascht zusammen und strahlt über das gesamte Gesicht. Kein Wunder. Ihre Darstellung als Komplizin Sweeney’s verdient die Anerkennung des Publikums zweifellos. Sie reizt die Lachmuskeln der Zuhörer und ist unverkennbar der Publikumsliebling. Ihre Mimik und Gestik ergänzen ihr übriges Erscheinen, erinnert sich doch unmittelbar an die Mrs. Thennardier aus dem Musical „Les Miserables“. Sehr ähnlich sind deren Charaktere und wenn sie ebenso eine fette Ratte in den Topf wirft, die sie gerade erschlagen hat, dann muss auch das Publikum angeekelt und belustigt auflachen. Alles wirkt so leicht und schwerelos bei Marianne Larsen. Sie meistert die schwierigsten und komplexesten Gesangsparts gerade so, als wenn sie ein Kinderlied unter der Dusche trällern würde. Dazu bewegt sie sich gekonnt, passend und professionell auf der Bühne. Ihr Schauspiel überzeugt komplett und läßt keine Kritik zu. Ihre Stimme wechselt von Klassik bis Musical spielend – sie ist schlicht eine Idealbesetzung für diese anspruchsvolle Rolle. Der Applaus sei ihr an dieser Stelle mehr als gegönnt.
Julian Kampusch überzeugt als verliebter Anthony Hope. Der Österreicher ist seit 2007 am Staatstheater tätig. Der junge Kampusch zeigt eine volle und kräftige Stimme, sein Bariton überrascht und er kann seine Rolle glaubhaft rüberbringen. Auch schauspielerisch überzeugt er und man bedauert es zu tiefst, wenn er am Ende von Toby kaltblütig mit der Axt ermordet wird. Dieser wird von Florian Simson gespielt. Er ist zunächst „Sklave“ von Barbier und Konkurrent Pirelli, später eher Schatten und Handlanger von Mrs. Lovett. Man kann sagen, er sieht in ihr einen Mutterersatz, die er nie hatte. Die Rolle des Tobias Ragg verkörpert er glaubhaft und er kann durchgehend mit starkem Gesang und Schauspiel überzeugen. Mit der Entwicklung des Stückes erfährt auch sein Charakter eine Wandlung, die ihn zuletzt in Besitz nimmt und er die mörderischen Züge seiner Zieheltern, obwohl er diese zunächst verachtet, kopiert.
Richter Turpin gehört zum Unsympath des Stückes. Verkörpert wird die umstrittene Rolle von Martin Hausberg. Turpin ist der größte Feind von Sweeney Todd’s. Er hat ihn schließlich in die Verbannung geschickt, dessen Frau zu seiner gemacht und am Ende seine Tochter genommen. Beide jagen sich und würden sich am liebsten gegenseitig sofort auslöschen. Wäre da nicht die junge Johanna, Tochter Sweeney‘s. Die Vatergefühle schlagen um, gegensätzliche Gefühle übermannen ihn und so drängt er darauf, Johanna zu heiraten. Es ist beeindruckend, wie Martin Hausberg die Rolle des Richters verkörpert. Schon die erste Szene, wenn er sich selbst kasteit, da er im Grunde genommen weiß, dass diese Verbindung nicht wirklich rechtens ist, wirkt für Beklemmung im Publikum. Auch wer zeigt eine kranke und abnorme Seite eines Menschen. Seine Darstellung verdient schauspielerisch sowie gesanglich gesehen große Anerkennung. Die Tochter Turpins wird von Terese Wincent verkörpert. Es gelingt ihr die Rolle der Johanna glaubwürdig zu spielen. Johanna ist eine junge, unschuldige und heranwachsende Dame, die eingesperrt von ihrem Stiefvater und künftigen Ehemann bewacht wird. Sie kann die Ängste und Zweifel des jungen Mädchens glaubhaft umsetzen, singt mit einem wunderschönen, hohen Sopran glockenklar und hell ihre Arie. Das Zusammenspiel mit Verehrer Anthony Hope klappt überzeugend und man wünscht dem Paar so sehr ein Happy End.
Wäre da nicht der „Schäferhund“ Büttel Bamford gespielt von Dirk Lohr, der die beiden immer wieder im Wege steht und Anthony im wahrsten Sinne des Wortes Knüppel zwischen die Beine wirft. Als strenger und konsequenter Bewacher und Beschützer von Johanna Im Auftrag Richter Turpins agiert er auf der Bühne. Er kennt kein Pardon und greift schneller zum Schlagstock, als mit Worten zu verhandeln. Aber auch er ist dem Wahnsinn verfallen, alle auszulöschen, die Johanna zu nahe kommen, denn auch er vergöttert die schöne und junge Frau. Er überzeugt gesanglich und schauspielerisch auf der Bühne, umso überraschender ist der Zuschauer von seinem „Outing“, als er begreift, dass auch er Johanna verfallen ist. Wär hatte damit gerechnet? Außerdem hat er alle Hände voll zu tun, die lästigen Londoner Bettler von dem wohlhabenden Haus fern zu halten. Unter ihnen weilt eine namenlose Bettlerin, die von Frances Lucey gespielt wird. Immer wieder tritt sie in Erscheinung. Unter ihrem schwarzen Bettelrock blitzen rote Spitzen hervor… Tritt doch gerade Sweeney’s vermeintlich verstorbene Frau immer als Gestalt in einem roten Kleid auf, gerade dann, wenn wieder ein Mord passiert. Frances Lucey spielt und singt überzeugt eine armseelige Gestalt, eine dünne und ausgemergelte Bettlerin, die in der Gosse der Großstadt leben muss und auf die Hilfe und Unterstützung der Mitmenschen angewiesen ist. Gerade Mrs. Lovett scheint ihr da gut gesonnen zu sein. Sie gibt ihr gerne von ihren Pasteten ab, – der Preis, dafür, dass deren Lippen verschlossen bleiben?
Wer also keine Angst vor spritzendem Blut, großen Hackebeilen oder scharfschneidenden Rasierklingen hat, der kann sich durchaus in den Salon von Sweeney Todd in der Fleet Street wagen und den hervorragenden Sängern und Schauspielern bei einem satirischem Treiben zusehen. Denn trotz makabrem Schauspiel, finden Humor und Ironie ihren Platz. Das aufwändige und liebevoll inszenierte Stück ist gelungen und kann sich durchaus in der Welt des Theaters sehen lassen. Zu sagen ist noch: Dialoge und Songs sind allesamt in deutscher Sprache. Also, Lust auf eine Veränderung, einen neuen Haarschnitt oder eine Rasur, so weich wie „ein Babypopo“? Auf in die Fleet Street – pardon, ins Staatstheater am Gärtnerplatz in München.
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