Mystic meets Metal, Gregorian chorus, Middle Ages and Classic Musical
Genaues über Musik und Inhalt kann in den Artikeln “Ludus Danielis – Die Geschichte” bzw. “Ludus Danielis – Entstehung und die Macher” entnommen werden. Widmen wir uns vorwiegend den Darstellern. Beginnen wir mit dem Titelhelden, dem Propheten Daniel. Das Multitalent Andy Kuntz spielt die Rolle im Kaiserslautener Pfalztheater seit seiner Premiere im Januar diesen Jahres. Die Rolle des jüdischen Daniel steht in einem großen Gegensatz zu seinem parallel laufenden Engagement als ChristO in „ChristO – die Rockoper„ (Kuntz ist nicht nur Hauptdarsteller sondern auch Komponist der Rockoper, die noch bis Ende Juli in München seine Uraufführung erlebt). Diesmal verkörpert er als Prophet „das Gute“ in dem Stück. Daniel ist absolut gottestreu, er erträgt beinahe unerschütterlich alles ihm zugefügte Leid. Vorwiegend balladesk klingen demnach seine Gesangspassagen, auch wenn der typische Vanden Plas Sound durchgehend präsent ist. Mit einer weiteren, neuen Seite seines Stimmcharakters beweist er in diesem Stück die eher softe Seite. Sobald er aber in Wut über Ungerechtigkeit oder falsches Verhalten der anderen Charaktere des Stückes gerät, erkennt man sofort und unverkennbar, dass der softe Daniel auf der Bühne kein anderer als der Leadsänger der Metal Band Vanden Plas ist. Eigentlich zum Glück, denn es ist schon erstaunlich, wie er seine Stimme einsetzt. Dass er zudem mit seinen Treadlocks etwas an den New Yorker Musical-Tarzan erinnert stört nicht weiter. Es signalisiert eher etwas Modernes, Jugendliches und leicht Rebellisches. Die Frisur tut der Gesamtfigur sehr gut, denn manchmal wirkt Daniel einfach nur niedlich und sehr kindlich-verträumt. Kombiniert mit seinem weißen langen Mantel, der weißen Hose und dem weißen Hemd wirkt er überzeugend unschuldig, unbedarft, ja sogar leicht naiv. Rein optisch kauft man ihm schon den Heiligen bzw. Propheten ab. Mit seiner Ballade „Solutio Latentium“ reißt er das Publikum zu Begeisterungsstürmen hin. Als einziger gelingt es ihm, die geheimnisvolle Schrift, das Menetekel „Mane Thechel Phares“ zu entziffern. Dass dies eine einzigartige Gabe ist, kann er in dem Song ausdrucksstark vermitteln. Der Einsatz seiner weichen und warmen Stimmfarbe betont aber auch die Ernsthaftigkeit und Tragik, die diese Inschrift mit sich bringt. Er verkörpert Daniel exakt so wie man ihn sich aus den heiligen Schriften vorstellt: jung, bescheiden, verletzlich aber auch angstvoll, später konsequent und kämpferisch. Umwerfend seine Interpretation von „Eleyson“, dem Lied, das er in der Löwengrube singt. Er beklagt darin sein Leid und betet zu seinem Gott, Jehova, dass dieser ihn vor dem Tod durch die Löwen retten möge. Er hängt an zwei Seilen hoch über der Bühne und selbst wenn die Projektoren auf der dahinter riesigen Leinwand keine Dornenkronen darauf abbilden würden, mit seinem weißen Gewand und den langen Haaren würde man ihn sofort mit Jesus am Kreuz assoziieren. Er hat einfach Messiasstyle! Dies ist eine der großen Szenen, die reihum Gänsehaut, Staunen und Bewunderung erzeugt. Gerade in dieser Szene tanzt das Ballettensemble, als Löwen „getarnt“ zu harten Metalklängen. Wie kann man Verzweiflung und Angst besser vermitteln. Ein großartige und tief beeindruckende Performance, nicht nur von Kuntz in diesem Song. Generell ist seine Leistung durchweg ohne Kritik zu urteilen. Aber wer Kuntz kennt, der weiß, er ist ein Profi und steigert sich von Song zu Song mit unerklärlicher Motivation und Euphorie. Einfach klasse!
Randy Dean Diamond was kann mit diesem Namen noch schief gehen? Diamond ist Amerikaner und hat ursprünglich Ballett gelernt. Er verkörpert in dem Stück gleich zwei Rollen. Im ersten Akt ist er König Belsazar, ein äußerst lebensfreudiger Regent, der die Vorlieben und den Luxus eines Lebens in vollen Zügen auskostet. Nachdem ihm die alleinige Macht über Babylon gehört, kann er problemlos ausleben wonach ihm ist und das tut er auch, wild, ungehemmt, ungezügelt und abgedreht. Seine Optik ist wahrhaftig der absolute Wahnsinn. Wie soll man ihn beschreiben? Er ist ein Klon aus Marilyn Manson, Alice Cooper, Kiss, Frank’n Furter aus der „Rocky Horror Show“, ja, er ist wirklich ein überdrehter und dominanter „sweet transvestite“! Er trägt einen langen blutroten Samtmantel, darunter – oben – erst mal gar nichts, tiefer dann eine schwarze Leder-, oder ist es Lackhose?! Seine hohen Plateaustiefel erzeugen schon beim Anblick Schwindel und Übelkeit. Spätestens aber dann, wenn er ungezügelt auf der Bühne herumwirbelt, hofft man, dass er in diesem Augenblick nur nicht umknickt und sich dabei sicherlich nicht nur die Beine bricht. Mit seinem Verhalten degradiert er den Hof wahrhaftig zu einem reinen Sündenpfuhl und – wenn wir uns schon in der Bibel befinden – es schreit förmlich nach einer Tempelreinigung… die ja auch nicht lange auf sich warten lässt. Als Zuhörer selbst verspürt man bei seinen fast undefinierbaren Artikulationen ein Kratzen im Halse, lauscht man seinen bis zum Exzess getriebenen Stimmbändern. Als Diktator wütet er gnadenlos auf der Bühne, zertrümmert bei „Tolle Vasa“ statt Gitarren höfliches Gut und entweiht dabei überzeugend blasphemisch die heiligen Gefäße. Er schert sich um Nichts und Niemanden. Erst als er den Inhalt der geheimen Schrift begreift kann er seinem Charakter glaubhaft erste Züge von Reue verleihen. Trotz der vernichtenden Nachricht steht er zu seinem Wort und überhäuft Daniel mit Reichtum. Man hasst Belsazar und man liebt ihn gleichermaßen, so einfach ist das.
Der erste Akt schließt mit einem beeindruckenden „Regis vasa“, als Babylon von den Persern und Medern überfallen und übernommen wird. Zunächst wird seine Frau getötet, unmittelbar danach muß auch er dem Tribut zollen. Die Regentschaft Balsazar geht tragisch zu Ende. Im zweiten Akt, wenn die schillernde Farbe Rot in fades Grau und Blau überwechselt wird auch aus Diamond ein ganz Anderer. Als König Darius spielt er das krasse Gegenteil von Belsazar. Darius ist gewissenhaft, gerecht und klug. Seine Gesangslinien sind dementsprechend abgeändert Erfreulich, ist dieser „Aha-Effekt“. Applaus erntet Diamond in „Quia novi“ oder „ Inquitatem fecimus“.
Nicht nur bei Diamond zweifelt man, ob er auch wirklich der Darsteller vom ersten Akt ist. Astrid Vosberg ist ebenfalls so ein Multitalent. Überhaupt ist sie für mich DIE Überraschung dieser Inszenierung. Alle bisherigen Rollen hat sie zweifelsohne ebenfalls mit Bravour absolviert, aber dieses Engagement dürfte noch einmal so ziemlich alles toppen, was Vosberg bisher verkörpert hat. Hat man je so eine facettenreiche Darstellerin gesehen, stimmlich sowie schauspielerisch? Im ersten Akt spielt sie die Frau an Belsazars Seite. Weise, sanft und klug duldet sie ihren Mann. Eigentlich wirkt sie eher blass im Gegensatz zu Diamond alias Belsazar, wäre da nicht der wohl emotionalste Moment des gesamten Oratoriums, die zerbrechliche Ballade „Consilium Reginae“. Sie widmet sich noch immer liebevoll ihrem eigentlich schon gestürzten Mann, trostvoll und verlässlich. Es ist eine Ballade die wohl einzigartig in der Geschichte der Musik bleiben wird. Selbst eingeschworende Berufsopernsängerinnen staunen anerkennend über diese Stimme und diesen Ausdruck. Egal ob in der Höhe, Mittellage oder Tiefe, das Stimmwunder Vosberg überträgt perfekt die ergreifende Stimmung die das Lied inne hat. Dazu umschmeichelt das wunderschöne creme-apricot-farbene Kleid ihre Aura. Allein optisch raubt sie schon den Atem, wenn sie dazu noch über die Bühne schreitet, dann ist man überzeugt, so müssen Engel aussehen und klingen…. Krasser Gegensatz hierzu bietet Vosberg wie bereits angedeutet im zweiten Akt. Hier die Frau an König Darius‘ Seite, verwandelt sie sich vom sanften und reinen Engel zum beinahe bösen Teufel. Intrigant, verrucht und abstoßend fies wetzt sie ihre Stimme. Dabei übernimmt sie gekonnt und überzeugend Diamonds Sprechgesang, reibeisig, heiser… Ein Schlagabtausch auf hohem Niveau kann man nur sagen. Was für eine Wandlung! Dazu kommen ihre lasziven, luderhaften Bewegung. Ihre Mimik setzt sie perfekt dazu ein. Man muss nicht nur zweimal hinsehen, nein man überlegt sich noch Minuten nach Beginn des zweiten Aktes, ob das echt „die Vosberg“ da oben ist. Unterschiedlicher kann man die Stimme von einer einzigen Person nicht erleben. Es gibt keinen Anhaltspunkt, keine Wiedererkennung, keine ähnliche Nuance, keine Parallelen oder eine vergleichbare Technik, die garantieren, dass beide Rollen eine einzige Person verkörpert. Schauspielerisch, kurz gesagt, sie steht dem ihren gesanglichen Qualitäten in nichts nach. Wirklich beeindruckend, diese Astrid Vosberg.
Soviel zu den drei Hauptprotagonisten. Die weiteren Darsteller sollen an dieser Stelle nicht ganz vernachlässigt sein. Ines Agnes Krautwurst, Günther Fingerle und Peter Floch als die drei babylonischen Fürsten, Gelehrten und persischen Satrapen, sowie Arlette Meißner als Engel und Bernhard Schreurs als Prophet Habakuk sind ebenfalls zumindest namentlich zu erwähnen. Sie ausführlich zu beschreiben würden den Rahmen gänzlich sprengen, wenn sie es dennoch mehr als verdient hätten. Es ist zu sagen, jeder dieser Sänger ergänzt, bereichert und komplettiert durch seine Stimme,
seine Rolle und ganz persönlichen Darstellung die gesamte Inszenierung. Sie sind den Hauptdarstellerin in ihrem Können in jedem Fall ebenbürtig. Ludus Danielis wäre nicht, was es geworden ist: ein grandioser Epos! Nicht zuletzt ist dies dem professionellen Einsatz des Chores, den Chorsolisten sowie dem Extrachor des Pfalztheaters zu verdanken. Abgerunded sorgen Ballett und Statisterie für einen starken und bleibenden Eindruck. Als Besonderheit der Musiker sind an dieser Stelle Burdette L. Becks II an der Flöte und Eva Alexandrian an der Violine zu nennen. Durch sie bekommt der allseits geliebte typische Vanden Plas Sound gleich noch mal einen ganz eigenen und wohl einzigartigen Touch. Fehlen darf natürlich auch nicht die Band Vanden Plas selbst, allen voran mit den beiden Luduskomponisten Günter Werno (Keyboards) und Stephan Lill (Guitars), gefolgt vom Drummer Andreas Lill und Bassist Torsten Reichert. Das Vanden Plas Stammteam liefert wie immer souverän und professionell einen perfekten Sound, der noch lange in den Ohren hängen bleibt.
Hoffen wir, dass dieses grandiose Meisterwerk nicht in der Versenkung verschwindet, sondern recht bald auf einer neuen Theaterbühne die Menschen berührt, erreicht und begeistert. Sicherlich aber ist Ludus Danielis ein weiterer Meilenstein in der Musikgeschichte. Deshalb, lasst uns alle in den bombastischen Schlusschor, dem „Te Deum“, einstimmen. Pompöser, hymnischer und gewaltiger kann ein solches Werk nicht beendet werden. Prunk- und würdevoll schließt es die Musik und die Handlung des Stückes und hinterlässt dabei reihenweise feuchte und tief betroffene Augen.