So einfach die Bibelgeschichte „Daniel in der Löwengrube“ aus dem 5. und 6. Buch Daniels aus dem alten Testament auch auf den ersten Blick erscheint, bei näherer Betrachtung steckt sehr viel Inhalt, Komplexität und Tiefgründigkeit dahinter. Zu rasch kann man den Faden verlieren, daher kann unter „Ludus Danielis: die Geschichte“ ausführlich darüber nachgelesen werden.
Man kann sich nur annähernd vorstellen, wie schwer es gewesen sein musste, diese Geschichte in ein mitreißendes, kompaktes musikalisches Werk zu fassen. Was Günter Werno und Stephan Lill hier gelungen ist, lässt sich eigentlich gar nicht in Worten beschreiben. Eines ist sicher, „Ludus Danielis“ ist einen Kniefall wert. Die Idee selbst, aus der Geschichte ein Rockoratorium zu erstellen hatte Johannes Reitmeier, Intendant des Pfalztheaters in Kaiserslautern. Im Jahr 2006 hat er Günter Werno, dem Keyboarder von Vanden Plas, diesen speziellen Auftrag erteilt. Werno hat zu Anfang versucht die existierende Musik umzuarrangieren, jedoch schnell festgestellt, dass auf diese Weise kein kompaktes Werk entstehen kann. Losgelöst von den alten musikalischen Motiven begann ein Schaffenprozess in den später Stephan Lill, Gitarrist der Band, mit einstieg. Genaueres lässt sich aus den Interviews von Werno und Lill entnehmen. Für den Text war mit Hilfe eines Lateinprofessors Intendant Reitmeier zuständig. Reitmeier hat bei dieser Inszenierung Regie und Bühnengestaltung übernommen.
Wie aber kommt man gerade auf die Idee, die Daniel Geschichte in ein Oratorium umzuschreiben? Johannes Reitmeier selbst hatte zu einem frühen Zeitpunkt in München in einer „Ludus“-Produktion mitgewirkt. Vor einigen Jahren hatte er auf einem mittelalterlichen Weihnachtsmarkt eine CD entdeckt, auf der dieses Spiel Daniels von der Gruppe ESTAMPIE zu hören war. Sein Interesse war geweckt. Seinen Ursprung und die Entstehung findet Ludus Danielis in Beauvais, Nordfrankreich, wo Studenten dieses Stück erstmals verfassten. Die ersten Texte von Ludus in dieser Form lassen sich auf das 12. Jahrhundert zurück verfolgen. In London existieren Skripte, denen man bereits erste „Regieanweisungen“ entnehmen kann. Ein gewisses Indiz dafür, dass man schon damals versucht hatte, Musik und Schauspiel zu kombinieren. Erste vergleichbare Spiele finden sich in der sogenannten Ostermesse in einem Drama wieder. Zu einem späteren Zeitpunkt wurden die zunächst in Volkssprachen abgehaltenen Spiele ins Lateinische übersetzt. Sie stießen gerade auf Marktplätzen auf größte Beliebtheit. In Oberammergau oder in Waal finden heute beispielsweise noch sogenannte Passionsspiele statt, die sich mit den damaligen Spielen durchaus vergleichen lassen. Reitmeier ist dafür bekannt, ja es scheint schon sein Wiedererkennungswert zu sein, dass er immer mit großen Effekten und Symbolen arbeitet. So ist auch Ludus Danielis sehr symbolisch gehalten.
Die Musik von damals wurde auf der CD von Estampie annähernd nachgespielt. Ursprünglich war sie sehr monoton, meist im 6/8-tel Takt gehalten. Für die nun Kaiserslautener Inszenierung trifft die Beschreibung der Musik fließend, volksartig mit Strophen versetzt, rhythmisch akzentuiert, mit tänzerischem Instrumentalklang bestens zu. Eine große Vielfalt von Melodien und Formen der Musik enthalten gegensätzliche Motive und verstärken so das Drama und die wechselnden Emotionen, die dieses Stück in seinen ganzen Szenen aufweist. Mittelalterliche Töne finden sich durch die Integration der Musikinstrumente Flöte und Violine wieder. Beide mischen sich „unter“ die Metalband Vanden Plas und erzeugen so einen ganz neuartigen Klangeffekt. Dieses gewagte Experiment hat sich als musikalischer Volltreffer herausgestellt, darf man den bisherigen Stimmen glauben schenken… und man darf! Nebst den gewohnten Vanden Plas Klängen und mittelalterlichen Motiven, vervollständigen Ansätze aus der gregorianischen Chormusik sowie schwere Opernchorpassagen- gekoppelt abwechselnd mit musicaltypischen Balladen- die gesamte Musik. Unvorstellbar, dass dies harmonieren kann. Aber es harmoniert. Und wer hätte je gedacht, wie nahezu perfekt sich Metalmusik mit Ballett vereinen lässt. Speziell die Szene in der Löwengrube, wenn die Raubtiere ungeduldig nach dem Propheten Daniel gieren, könnte nicht überzeugender und dramatischer wirken.
Dem nicht genug. Es ist schon komplex genug und eine Meisterleistung zugleich die unterschiedlichen Musikstile in eine Gesamtform zu bringen. Gehen wir auf den Text ein. Wie bereits geschrieben, überliefert sind Volkssprachen und später Latein. Würde man dem Zeitgeist folgen, so würde nun Englisch nahe liegen. Falsch! Am Pfalztheater herrscht bei Ludus Latein als Amtssprache. Für die Sänger eine weitere Herausforderung nebst ungewöhnlich arrangierter Musik diese Sprache zu erlernen, zumal das beim Einstudieren der Parts die Verständlichkeit über den Inhalt erschwerend verkompliziert. Der ein oder andere Darsteller hat die Texte erst einmal stupide auswendig gelernt, andere mussten zuerst die Übersetzungen lesen um zu verstehen, um was es im einzelnen bei den insgesamt 26 Liedern geht. Dem ein oder anderen Darsteller hat wohl im wahrsten Sinne des Wortes die Stimme versagt, als er gehört hat, in welcher Sprache das Oratorium seiner Umsetzung erliegt. Es sei erwähnt, dass Ludus über keine Dialoge verfügt. Es wird an einem Stück durchgesungen. Aber mal ehrlich, was passt denn schon besser zu gregorianischem Chorgesang, zu mittelalterlichen Tönen und einem vielköpfigem Chor als Latein! Es harmoniert „erschreckend“ gut. So schön das auch klingen mag, der Leser fragt sich vielleicht, wie der Zuschauer erfährt um was es denn gerade auf der Bühne geht, vor allem dann, wenn er nicht so bibelfest ist? Die Lösung liegt nahe. Eine Texttafel über der Bühne zeigt neben den lateinischen Songtiteln auch die Übersetzungen. Vielleicht ist es gelegentlich etwas anstrengend, gerade dann, wenn man sich nicht entscheiden kann, ob man sich nun eher sich dem Text widmen soll oder ganz profan dem Bühnengeschehen frönen will. Es ist schon bombastisch, was die Bühne zu bieten hat. Nebst kompletter Ausnützung jeglicher möglicher Bühnentechnik in Form von Trennwänden, Treppen, Tafeln, Hebebühnen und Ausreizung von Lichteffekten, reicht es hin bis zu großflächigen Projektoren für Symbole und Hintergründe, Unmengen von Stoffen und auch der Einsatz von symbolträchtigen Requisiten lässt keine Wünsche offen. Nicht zu vergessen, was die Darsteller und Sänger schauspielerisch präsentieren. Man versteht aber weitgehend die Handlung aufgrund der fantastischen schauspielerischen Leistung der Beteiligten. Ja, die Floskel „es vergeht einem Hören und Sehen“ findet hier eine ganz neue Bedeutung. Reitmeier fordert nicht nur die Darsteller und Musiker, nein die Technik hat allerhand zu tun, wunderbar, wenn ein Theater mit all seinen Möglichkeiten mal so richtig ausgereizt wird. Dennoch aber wirkt es zu keinem Zeitpunkt überladen oder gar lästig. Hervorragend, wie es wieder einmal gelungen ist die perfekte Gratwanderung zu finden.
Alles in Allem verlangt Ludus Daniels als Gesamtwerk von Musikern und Sängern gleichermaßen wahrhaftig Einiges ab, denn gerade die Unterschiedlichkeit, wechselnde Tempi in Kombination der lateinischen Sprache und die komplexen gesanglichen Parts sind eine immense Herausforderung für Alle. Aber sie meistern diese Aufgabe mit Bravour. Gerade für den Extrachor des Theaters dürfte diese Inszenierung eine spannende, neuartige und unvergessliche Sache sein, zumal es sich bei dem Stück um eine Welturaufführung handelt. Aber auch für den Chor, den Chorsolisten, dem Ballett und der Statisterie des Theaters ist es sicherlich eine großartige Erfahrung, ein Rockoratorium mit einer Metalband zu gestalten. Leider steht bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest, ob das Oratorium eine Wiederaufnahme bzw. einen Wechsel an einem anderen Theater nach dieser Spielzeit erleben wird.
Aber dafür sei an dieser Stelle schon einmal auf die am 23.5.08 erscheinende DVD „Ludus Danielis – The game of Daniel“ hingewiesen, die dann selbstverständlich auch unter der Rubrik „Fans & Co“ zum Verkauf stehen wird.