Am 16.06.2010 feierte eines der wohl meist gespielten Musicals in Deutschland am Theater in Regensburg seine Premiere. „Jekyll & Hyde“ mausert sich nach und nach in die Theater Deutschlands. Kein Wunder, dass man Vergleiche der verschiedenen Inszenierungen nicht mehr verhindern kann. Sicherlich bringt die Popularität des Stückes zweifelsohne viel (junges) Publikum an die Theater, dennoch ist gerade bei der Vielzahl von „Jekyll-Shows“ Vorsicht geboten. Zu schnell lässt man sich als Theater von Publikumsmagneten verleiten und steht womöglich am Ende hinter den Erwartungen. Die Meinungen hier in Regensburg sind wie so oft bei Stücken geteilt. Hier kommt es wirklich darauf an, mit welchen Erwartungen man das Stück besucht, welchen Schwerpunkt man sich persönlich als Zuschauer setzt und beeinflusst wird auch, was man bisher von anderen Produktionen gesagt bekommen hat. Allgemein aufpassen müssen die Theater allmählich, dass das Stück nicht zu abgegriffen wird, denn sonst passiert es ihm wie „Les Miserables“, dass es am Ende keiner so recht sehen will.
Diese Inszenierung in Regensburg ist eine Mischung von Allem. Im Gesamten lässt sich sagen, dass hier wohl mehr auf Gesang Wert gelegt wurde.
Die Bühne (Ausstattung sowie Kostüme von Ursula Beutler) ist sehr spartanisch, wenn nicht sogar dürftig. Lediglich bewegbare Stellwände, die mit verschiedenen Projektionen beleuchtet werden kreisen auf der Drehbühne. Kleine Requisiten unterstützen die nötigsten Szenen, wie beispielsweise Stühle, Liegen oder eine anmutende Cocktailbar.
Das Labor des Dr. Jekyll besteht aus einem herunter gelassenen Bodenstück, das meist auf halber Bühnenhöhe schwebt. Es wirkt wie ein Eisenkäfig mit verbundenen Seildrähten, darin ein Stuhl und eine Liege. Ein Spiegel schwebt schief darüber – fertig ist das Labor.
Die Kostüme sind nicht wirklich ein Blickfang oder außergewöhnlich. Klare und einfache Linien zeichnen sich ab. Lediglich die „leichten Mädchen“ der Roten Ratte muten mit ihren rot-schwarzen Kostümen mehr Farbe an, was aber nahe liegt. Etwas mehr Extravaganz hätte dem Stück wirklich gut getan um sich vom Markt abzuheben. Die Liebe zum Detail fehlt. Vielmehr sieht alles nach Kleiderfundus aus.
An diesem Abend, den 9.07. hatte eindeutig das Orchester unter der Leitung von Arne Willimczik die Oberhand in der Inszenierung, das leider an viel zu vielen Stellen zu laut übertönte, sodass es die Solisten schwer hatten, dass man sie verstand. Die Chorpassagen sind bei den schnellen Tempi so gut wie gar nicht verständlich. Durch das laute Orchester aber verliert sich der Chor und so hört es sich einfach nur laut, laut und noch mal laut an. Schade und sehr, sehr bedauerlich ist dies, zumal sich hier wirklich gute Stimmen verbergen.
Die Regie übernahm hier Johannes Reitmeier, gleichzeitig Intendant des Pfalztheaters Kaiserslautern. Er hat bereits zahlreiche erfolgreiche Stücke auf die Bühne gebracht. Einige Szenen erinnern hier stark an seine „High Society“, insbesondere „True Love“ mit dem Song „Nimm mich wie ich bin“. Auch szenisch erinnert die Produktion immer wieder an die von Coburg, die letzte Saison dort mit demselben Hauptdarsteller, Randy Diamond, lief. In Sachen Regie hätte man sich wesentlich mehr Individualität, mehr Highlights und mehr Kreativität gewünscht. Nichts wirklich Packendes oder Spektakuläres spielte sich in den rund zweieinhalb Stunden an dem Abend ab. Nicht einmal die Szenen, in denen Hyde und Lucy aufeinandertreffen und wo Gewalt und Aggression zum Vorschein kommt ist hier schmissig oder rasant. Dabei liefert der Stoff doch eine ganze Menge an Spannung und Thrill…
Abgesehen davon ist das Stück in seiner gesamten Länge definitiv zu langatmig und im Verhältnis zu den etwas schnelleren Geschehnissen auf der Bühne einfach nicht aufregend genug. Schade, schade. Eine Kurzfassung, wie man sie in Coburg vorgefunden hatte wäre an dieser Stelle angebrachter und wesentlich spannender geworden.
Kommen wir zu den Charakteren, da wäre also Dr. Jekyll / Mr. Hyde, dargestellt von Randy Diamond, der die Doppelrolle schon mehrfach interpretiert hat. Auch hier in Regensburg gibt es keinen Grund zur Kritik. Seine Darstellung und sein Gesang überzeugt gleichermaßen. Sein Showstopper „Dies ist die Stunde“ erlebt hier eine neue Interpretation, die positiv beweisen, dass Diamond weiter entwicklungsfähig ist, trotzdem, dass er die Rolle schon so oft gespielt hat. Er schafft es einem zig-Mal gesungenen Song noch immer Akzente zu verleihen und zu überzeugen.
Lisa, hier verkörpert von Gesche Geier (feste Solistin am Theater) wirkt in ihrer Rolle wesentlich reifer und selbstbewusster als in sonstigen Inszenierungen. Sie ist eine erwachsene Frau, die durchaus weiß, was sie will. Sie spielt nicht wie sonst das naive junge Frauchen, die blind ihrem Jekyll folgt, was auch kommen mag. Eine interessante Interpretation, die gesangstechnisch keinerlei Kritik aufkommen lässt. Hier und da etwas mehr Emotion und freiere Interpretation käme dem jungen Rollencharakter entgegen. Gerade in „Da war einst ein Traum“ schreit es förmlich nach mehr Gefühl.
Astrid Vosberg spielt die Hure Lucy Harris schön verrucht und überzeugend „leicht“. Auch sie wirkt schon sehr reif, weniger ausgemergelt und macht keinen so fertigen Eindruck, wie es andere Lucies vielleicht bisher taten. Sehr freundschaftlich und emotional spielt sie ihre Rolle. Sehr weiche Bewegungen in den Choreos machen Astrid Vosberg zu einer erotischen Frau, die ihre Reize dezent, nicht provokativ aber überzeugend einsetzt. Die Tänzer an ihrer Seite unterstreichen ihren Auftritt sehr schön, erinnern dennoch in Tanz und Choreografie (Olaf Schmidt) sehr an Coburg. Stimmlich und schauspielerisch ist Astrid Vosberg überzeugend.
In „Mädchen der Nacht“, zeigt Nellie, alias Ruth Müller ihr Können. Optisch ist sie eine tolle Nellie und hat zudem auch noch eine wirklich schöne Musicalstimme. Das Lied wirkt wunderbar ruhig und harmonisch- alles in allem sehr atmosphärisch.
Rechtsanwalt und Freund Jekylls Utterson wird dargestellt von Cameron Becker. Er spielt überzeugend, verständnisvoll und gefühlvoll den Freund Jekylls, auch wenn er die Situation nicht recht versteht, wenn er Lucy den Abschiedsbrief mit Geld bringen soll. Seinen Charakter spielt er weich und ist so der Ausgleich zu den aggressiven Szenen.
Etwas spannender wird es unmittelbar nach der Hochzeitsszene. Kurz vor dem „Ja“ verwandelt sich Jekyll in Hyde. Alle anwesenden Gäste rennen wie hypnotisiert weg, es folgt ein Kampf mit Stride, seinem persönlichen Feind. Schließlich nimmt Hyde Lisa als Geisel. Stride, der schon längst ein Auge auf Lisa geworfen hat, bedroht ihn mit einer Pistole. Daraufhin lässt er Lisa frei. Nun bittet Hyde um seine Erlösung… Schüsse fallen… Hyde wird vermeintlich von Stride getötet. Die letzte Szene folgt: Lisa hält ihren Verlobten im Arm und trauert um ihren Mann. Der Vorhang schließt sich… Jekyll entschuldigt sich noch mal bei ihr … doch schon öffnet sich der Vorhang wieder. Hyde ist noch nicht tot, vielmehr – ist er quicklebendig und lässt noch einmal das Böse in der „Konfrontation“ aus sich heraus. Der Dämon hat gesiegt.
Fazit: Die Inszenierung „Jekyll & Hyde“ mag nicht die aufregendste sein, die man in den letzten Jahren gesehen hat, dennoch ist sie einen Besuch wert und gerade Jekyll Fans werden durch überzeugende Haupdarsteller in jedem Fall auf ihre Kosten kommen.
Marina C. Bunk 9.07.2010 (Showfotos: Theater Regensburg)