Inszenierungen von Bad Hersfeld und Bad Vilbel im Vergleich!
Das einzig identische an „Jekyll & Hyde“ ist die Herkunft des Musicals. Die Musik stammt aus der Feder von Erfolgskomponist Frank Wildhorn, das Libretto von Leslie Bricusse. Seit seiner Premiere am 24.5.1990 in Houston/Texas und seiner Broadwaypremiere am 28.4.1997 genießt das doch recht junge Werk erstaunlich hohes Interesse. Nach der deutschen Erstaufführung am 19.2.1999 in Bremen folgte Wien, danach wütete „Hyde“ in Städten wie Köln, Staatz, Bozen, Chemnitz, Tecklenburg, Bielefeld, Saarbrücken, Dresden und nun eben Bad Vilbel und Bad Hersfeld. Es folgen noch in diesem Jahr weitere Inszenierungen auf diversen Freilichtbühnen, Seebühnen bzw. Theatern deutschlandweit.
Es muss also ein ganz besonderer Zauber in der „Dissoziativen Identitätsstörung“ auch „Multiple Persönlichkeitsstörung“ liegen, dass „J&H“ immer wieder Kassenschlager und ein schwer gefragtes Werk für Theater aller Art darstellt. Die Auslastungszahlen bei Jekyll-Produktionen bestätigen Allerorts den Erfolg und beinahe unerklärlichen Reiz dieses Stückes. Wie immer sind Inszenierungen eine rein subjektive Angelegenheit. Der eine Besucher liebt das Bühnenbild pompöser, aufwändiger und ausgeklügelter, der andere liebt das Schlichte, Einfache und Dezente. Der Eine legt seinen Schwerpunkt aufs Schauspiel, die anderen auf den Gesang. Man wird hier wohl nie alle Menschen zufrieden stellen können.
Fakt bei beiden Produktionen ist, dass sie ihre Protagonisten herausstellen und Diese kompromisslos, gekonnt und gezielt in den Vordergrund stellen. Das ist schön zu sehen, denn in Zeiten von aufwändiger Bühnentechnik und sich überschlagenden Requisiten haben es die Darsteller ab und an doch sehr schwer, sich durchzusetzen. Diese Darsteller aber können sich in Bad Hersfeld sowie Bad Vilbel wirklich sehen lassen.
So ist es in Bad Hersfeld beispielsweise Jan Ammann, einst DER König Ludwig in „Ludwig 2“, der Jekyll & Hyde verkörpert. Zweifellos hat er Gefühl und Kraft, aber auch Weiches in der Stimme, die er als König oder auch als Biest in „Die Schöne und das Biest“ voll ausspielen konnte. In dieser Doppelrolle kommt man nicht um das Gefühl, dass er an manchen Stellen noch viel mehr Potential beweisen möchte. Es drängt ihn förmlich noch mehr aus sich herausgehen zu dürfen, ja, und er würde dies ohne Zweifel einwandfrei beherrschen. Die Frage sei berechtigt, woran liegt das? Optisch gesehen gibt er einen stattlichen und beeindruckenden Charakter ab. Schade, dass sich die Kostümabteilung in diesem Stück eher auf den Poker“ abgespeckt“ setzt. Lediglich ein schwarzer langer Mantel unterscheidet Hyde von Jekyll. Ob man in den zahlreichen entfernteren Stuhlreihen noch unterscheiden kann welcher Charakter nun auf der Bühne schaltet, lässt sich sicherlich nur schwer ersehen. Sehr schade, denn gerade die Hauptrolle sollte eindeutig als Hauptaugenmerk hervorgehen, aber zum Glück versteht Ammann es mit seinem hervorragenden Schauspiel zu unterstreichen und betonen, welche Identität er im Moment vertritt.
Neben Ammann glänzen gewohnt anmutig und stimmsanft in glockenklarer Höhe Annemieke van Dam als Lisa, der man ihre reine Liebe zu Jekyll problemlos abnimmt. Blond, zierlich, mädchenhaft, sie kann alle Charaktereigenschaften überzeugend rüberbringen.
Maaike Schuurmans bietet den passenden stimmlichen Kontrast hierzu als Prostituierte Lucy. Ihre Bühnenpräsenz verdient gesondertes Lob. Sie kann das Verruchte und sinnlich-emotionale hervorragend mit einer starken Stimmfacette vermitteln.
Weiter eine überzeugende Performance in der Bad Hersfeld Cast lieferten in jedem Fall Rory Six als John Utterson, Tom Tucker, Svenja Kühl, Mathias Degen, Olaf Meyer und Silke Dubilier. Bad Hersfeld ist auch schon alleine deshalb empfehlenswert, weil die Inszenierung ihren ganz eigenen und persönlichen Schluss kreiert hat. Dies erzeugt bei dem vielleicht sonst gewohnten Werk absolut keinen Abbruch.
Einzig bedauernswert- die Regie es wohl versäumt hat, den gesamten Reiz und Zauber, den diese wohl einzigartige Ruine besitzt, mit in das Geschehen zu integrieren. Hier hätte man durchaus mehr herausholen können und den dramatischen Bogen wesentlich mehr ausspielen können. Im vergangenen Jahr konnte das Erfolgsstück „Les Miserables“ spielend eine gelungenere und gänsehautlastigere Atmosphäre schaffen. Stahlgerüste seitens der Hauptbühnenfläche lassen den Anschein erwecken, dass man sich inmitten von Umbauarbeiten befinden könnte. Wenn sich das Ensemble dann auch noch zwischen all die Rohre quetscht, dann schnürt es einem selbst als Zuschauer die Kehle etwas wehmütig zu… Trotzdem sollten es sich LesMis Fans es sich auf keinen Fall nehmen lassen nach Bad Hersfeld zu pilgern, es lohnt in jeden Fall.
Regie: Frank Alva Buecheler, Musikalische Leitung: Christoph Wohlleben, Choreografie: Rüdiger Reschke, Bühne: Robert Pflanz, Kostüme: Hannelore Nennecke, Korrepetition: Jürgen Oswald
Fotos und Copyright: blitzlicht fotostudio – Bad Hersfelder Festspiele
Jekyll & Hyde ist in Bad Hersfeld noch bis zum 3.8.08 zu sehen.
Kommen wir zu Bad Vilbel! Hier schlägt sich Alexander di Capri als „Gut & Böse“ durch die Show. Mit unglaublicher Power in der Stimme schleudert und schmettert er seine „Stunde“ ins Volk, das mit langem und lautem Beifall antwortet. Kein Wunder. Es ist herrlich zu sehen, wie unterschiedlich Akteure auf der Bühne agieren und ihren Rollen einen ganz persönlichen Charakter einhauchen. Di Capri überzeugt mit jeder Minute, die er auf der Bühne steht. Seine Verzweiflung und Gespaltenheit bringt er schauspielerisch erstklassig an. Im Liebesduett mit seiner Verlobten Lisa kann er seine stimmlich sanfte Seite unumstritten unter Beweis stellen. Mit Eva Aasgaard als Lisa hat die Produktion ein stimmlich harmonierendes „Paar“ gefunden. Wie immer liefert Aasgaard mit ihrem lupenreinen, technisch perfekten Sopran eine Spitzenleistung ab, bei der man keine Kritik hinzufügen kann. Ist die Rolle der Lisa doch eher unspektakulär, Eva Aasgaard arbeitet unermütlich an den Rollen und holt Unmögliches dabei heraus. Letztes Jahr verkörperte sie eine vergleichbare Rolle, die der Cosette in der Bad Hersfelder „LesMis-„Inszenierung. Aasgaard schafft es aus fast langweiligen und biederen Rollen einen ganz besonders liebenswerten Charakter zu zaubern und diesen auf der Bühne glänzen zu lassen. Dies nicht nur stimmlich, sondern in jedem Falle auch schauspielerisch. Aber wer spielt nun die begehrte Frauenrolle Lucy, die Prostituierte, in Bad Vilbel? Anne Hoth! Sie komplettiert das Frauenduo und beweist dies in „Nur sein Blick“. Eine tolle und gut bedachte Wahl Anne Hoth, eine schauspielstarke Darstellerin auf die Bühne zu stellen.
Matthias Pagani, Daniel Coninx, Erwin Bruhn, Peter Trautwein und Sissy Staudinger ergänzen die Jekyll-Cast mit durchweg bemerkenswerten Stimmen und überzeugenden Schauspiel. Beachtenswert, dass auch die kleineren Rollen bedacht mit Talenten besetzt wurde.
Das kleine 14-köpfige Orchester sorgt dafür, dass die Darsteller sich stimmlich nicht mit aller Gewalt darüber erheben müssen, was gerade bei Freilichtinszenierungen tontechnisch wiederum für Probleme sorgen kann. Die Wahl den sogenannten Vilbel Canto Chor in das Stück zu integrieren dürfte sich spätestens nach der Premiere ebenfalls als gelungener Einfall herausgestellt haben. Dieser kann nicht nur mit schönen Einsätzen überzeugen, nein, mit schönen Choreografien kann auch er die Augen der Zuschauer auf sich ziehen. An dieser Stelle sei längst fällt erwähnt, dass es immer sehr bedauernswert ist, wenn Chöre oder Ensembles nur als „Beiwerk“ in einem Stück betrachtet werden. Diese, meist durchgehend präsent, stützen durchgehend eine Show und auch mit ihnen steht und fällt der Erfolg maßgeblich, denn was wären drei Stunden Solisten auf der Bühne ohne imposante Chorpassagen oder Tanzsequenzen? Kammerkonzerte,- aber sicherlich kein Musical, keine Show, kein Musiktheater.
Die wesentlich bühnentechnisch schlichtere Inszenierung von J & H in Bad Vilbel bietet einen interessanten Gegenvergleich zu Bad Hersfeld. Dennoch lebt es von Individualität und persönlichem Charme. Sicherlich lässt sich auch im dramaturgischen Bereich immer etwas verbessern, aber das Gesamtbild am Ende ist, was zählt und da ist Bad Vilbel vorbildlich.
Jekyll & Hyde ist in Bad Vilbel noch bis zum 6.9.08 zu sehen.
Regie Egon Baumgarten, Musikalische Leitung Thomas Lorey Ausstattung Thomas Pekny
Fotos und Copyright: Eugen Sommer