Zerrende Stille erfüllt die verlassene Fabrikhalle, lediglich das Geräusch von Wassertropfen hallt mahnend. Ein paar seltsame Gestalten huschen über die Bühne. Es erinnert stark an die Eingangsszene der legendären West Side Story-Verfilmung mit Natalie Wood. Unter den Gestalten auch Jesus mit weißer Hose. Ein Architekt bewaffnet mit einem Bauplan irrt durch die Halle und inspiziert deren Bausubstanz… Er klettert auf ein Gerüst und der Song „Heaven on their minds“ beginnt. Der vermeintliche Architekt entpuppt sich als Judas, dargestellt von Musicalstar Darius Merstein-MacLeod. Es genügen Wenige Takte reichen aus um zu wissen, dass hier ein stimmlich gewaltiger Revoluzzer die Bühne erobert. Die gesamte Show hinweg liefert er einen glänzenden und überzeugenden Job. Das Publikum ist begeistert, zurecht. Er gewinnt mit seinen durchgängigen gelungenen Interpretationen der Songs und verleiht diesen noch mehr an Melodie und Ausdrucksstärke. Seinem Schauspiel kann man keinerlei Kritik entgegen wenden. Darius Merstein-MacLeod ist ein rundum gelungener Judas-Glücksgriff, denn er verkörpert all das, was man von einem Judas erwartet, Aggression, Zynismus aber auch menschliche Züge wie Eifersucht kommen zum Vorschein, gerade dann, wenn ihm Maria Magdalena wieder in seinen Plänen dazwischen kommt.
Jesus ist an der weißen Hose zu erkennen, während die anderen erdfarbene Kleidung tragen. Jesusdarsteller und Musicaldarsteller Randy Diamond haucht seiner Figur Leben ein. Keine Spur von Softie und Prediger, immer gut, immer korrekt und sozial oder gar überirdisch. Dieser Jesus passt sich der „Gang“ an, provoziert und kämpft wie die anderen. Auch er wird von Gefühlen wie Rebellion, Fanatismus und Aggression gepackt auch wenn er es sich zum Ziel setzt, dass am Ende das Gute und die Gerechtigkeit siegt. Dieser Jesus regt die Denkweise über die Ansicht von Religion und Gott generell auf interessante Weise an. Die Rolle Jesus kann vielschichtig ausgelegt werden. Aber eines ist klar: mit nur „Bravsein“ wäre der Charakter Jesus nicht überzeugend. Er muss zu historischen Zeiten schon menschliche – positive wie negative – Wesenszüge gehabt haben, sonst wäre ihm doch kein Mensch gefolgt, keiner hätte ihm geglaubt und keiner hätte sich ihm bedingungslos unterworfen. Und doch hatte er seine sanften Seiten. Bei seinem „Poor Jerusalem“ kommt Diese verstärkt zu tragen. Die Zuschauer sind gepackt bei seinem „Gethsemane“.
In „Strange thing mystifying“ tritt erstmals Maria Magdalena auf. Gabi Schmidt spielt und singt die wohl umstrittenste Rolle des Musicals. Im Schauspiel macht sie als deklarierte Ex-Prostituierte ihre Sache gut. Jedoch wünscht man sich an vielen Stellen, sie möge generell etwas mehr von ihrem Enthusiasmus zu Jesus zurücknehmen. Es wirkt teils etwas überzogen und ergibt keinen wirklichen Sinn, wenn sie, sobald Jesus auf der Bühne präsent ist, seinen „Schatten“ spielt. Zu penetrant hängt, ja klebt sie an der Titelfigur, man könnte fast meinen sie sei sein persönlicher Bodyguard. Ihre Gefühle zu ihrem Spiel wollen daher nicht ganz zusammenpassen. Eine sanftere und zurückhaltendere Maria Magdalena Variante wäre an gewissen Stellen in jedem Falle überzeugender. Später wenn sie ihr Lied „I don’t know how to love him“ singt, dem Showstopper des Musicals, beginnt sie schön und ruhig die erste Strophe A Capella zu singen. Eine gelungene Idee. Zur zweiten Strophe stimmt dann das Orchester mit ein. Souverän meistert sie den Klassiker.
Die hohen Priester liefern einen echten Eyecatcher. Im Rapper Style stellen sie sich auf einem zweiten Baugerüst auf und wirken wie die oppositionelle Gang um Jesus und Judas. Hervorzuheben ist hier der Caiaphas-Darsteller, der mit seinem tiefen und reinen Bass Erstaunen erzeugt.
Immer wieder stellt man fest, dass Simon mit seinem Song „Simon Zealotes“ der erste Stimmungsmacher in der Rockoper ist. Das Lied hat eine ganz gewisse Wirkung, bei der sich scheint’s alles löst und die Freude und Energie förmlich von der Bühne auf das Publikum überspringt. Simondarsteller Martin Werth ist dies ebenfalls gelungen und seine Stimme und sein überzeugendes Schaupiel komplettieren den Song. Er hat wirklich „Power and the glory, forever…“
In die Rolle des Pilatus schlüpft Kenneth Derby. Leider wirkt er im ersten Akt ziemlich blass und ausdruckslos. Das Atmosphärische, das in „Pilates Dream“ entsteht und eigentlich immer Gänsehaut und Schauer erzeugt vermisst man hier komplett. Das mag aber auch schwerwiegend am Lichttechnik liegen, die keine Veränderung für diese Szene vorsieht. Dabei könnte man mit einem kalten blau-weiß schon einen mächtigen Effekt erzielen und den Song verstärken. Das ist schon sehr bedauerlich für Derby, der zum späteren Zeitpunkt zunehmend überzeugen kann.
Wie in jeder Inszenierung gelingt es der Rolle König Herodes immer wieder aufs neue Lachsalven auszulösen. Das mag die humorische Seite an Jesus Christ Superstar sein, die meist schon in Clownerie übergeht. Und auch hier geht das Konzept auf. Dale Albright mimt hier den gut gebauten, dauer-jointrauchenden König, der in einer geschlossenen Mülltonne auf die Bühne gerollt wird und später auch so seinen Abgang hat. Albright gelingt sekundenschnell die Lacher auf seine Seite zu ziehen. Sein klassischer Gesang schlägt begeisternd ein, sein Schaupiel, gerade seine Mimik hat einiges an Grimassen aufzuweisen. Das Publikum liebt ihn und verabschiedet ihn mit donnerndem Applaus.
Der gesamten Inzenierung ist es gelungen Spannung mit Humor abwechselnd einzusetzen. Neben Herodes Einsatz geben auch Szenen wie die bei der Tempelreinigung Grund zum Schmunzeln – gerade dann, wenn in Einkaufstrolleys die Go-Go-Tänzerinnen hereingefahren werden und die „Sünde“ symbolisieren. Zu witzig wirkt es doch, wenn sie sich in ihren Wägelchen schier verrenken.
An dieser Stelle sollten die Apostel genannt werden. Sie singen im klassischen Stil überzeugend und bieten eine harmonische Formation auch im Schauspiel. Gerade bei „Could we start again please“ kommt dies stark zum Ausdruck.
Das Ballett, hier im Wesentlichen die Solotänzer, die oftmals mit und rund um Judas oder Jesus tanzen verdienen gesondertes Lob. Es ist deutlich, dass hier Ex-Balletttänzer Pierre Wyss am Werk war. Er hat das Stück im Übrigen inszeniert. Die Elemente sind dem klassischen Ballett entnommen, was dem Stück einen weiteren professionellen und hochwertigen Touch verleiht. So gelingt es den Tänzern sich immer wieder in den Hauptfokus des Bühnengeschehens zu schleichen.
Szenisch wirkungsvolle Elemente spiegeln sich darin wieder, wenn beim „Last Supper“ die Jünger vereinzelnd die Bühne betreten, jeder eine Chemietonne vor sich hin rollend. Später ergeben sie die lange Tafel, an der das letzte Abendmahl eingenommen wird. Schade, dass man hier nicht die klassische Variante, echtes Brot und Wein, für das Mahl verwendet hat. So reichen sich die Apostel mit Maria Magdalena an Jesus Seite nur die flache Hand. Die Chemietonnen erfahren ihren Einsatz dann, wenn Jesus und Judas sich während des Mals einen Schlagabtausch liefern und jeder von seiner Meinung überzeugt, die Tonnen wütend von sich stößt. Die Wirkung der donnernden Tonnen zu der aufkeimenden Aggression der Beiden verstärkt den Eindruck auf sehr überzeugende Weise.
Überhaupt ist das Zusammenspiel von Jesus und Judas sehr überzeugend. Der Verrat mit dem „Judas Kiss“ wird hier auf neue und extrem interessante Weise dargestellt. Der Revoluzzer Judas tritt auf Jesus zu und küsst ihn vorsichtig und fast beschämt. Frei nach dem Motto „War das schon alles, auf so billige Weise verrätst Du mich?“ packt Jesus daraufhin Judas und drückt ihm auf provokante Weise einen Kuss direkt auf den Mund. Eine ausgesprochen hervorragende Idee!
Die Szene der Geiselung wirkt dagegen weniger spektakulär. Die symbolisierten Peitschenhiebe werden von Pilatus selbst ausgeführt. Der Chor dahinter führt die Bewegungen nicht zu den akustischen Schlagsignalen aus, sondern zu den einzelnen Aufzählungen der „39 Lashes“. Eine etwas irritierende Ausführung, die Unklarheit schafft.
Die Kreuzigung punktet dagegen mehr. Riesig groß ist das Holzkreuz das hereingetragen wird. An Ketten gefesselt wird Jesus mit dem Kreuz erhoben. Der hintere Bühnenbereich öffnet sich und erstmals strömt grelles weißes Licht sekundenschnell über die Bühne mitten in den gesamten Theatersaal. Strahlend und blendend hinterlässt die Kreuzigung ihre Spuren. Doch mit dem ist nicht das Ende einberufen. Nach dem „John 19:41“ betritt wie zu Anfang der „Architekt“ die Bühne. Er wundert sich über das Kreuz, das da steht – jedoch ohne den gekreuzigten Messias.
Abschließend ist zu sagen: Jesus Christ Superstar in Innsbruck mag vielleicht nicht die spektakulärste und bühnengewaltigste Verfassung der Rockoper sein, denn recht spartanisch fällt das Bühnenbild aus, dennoch aber gibt sie neue und interessante Einblicke, wie man den ein oder anderen Charakter sehen könnte. Wohl kaum eine andere Jesus-Inszenierung bietet so derart neuartige Darstellungen von Judas, Jesus und Maria Magdalena wie die von Pierre Wyss. In jeden Fall war es sehr spannend, das zu erleben. Es wird sehr interessant, wie DER Klassiker unter den Musicals, „My fair lady“, in der nächsten Spielzeit in Innsbruck umgesetzt wird.
Marina Christiana Bunk, 21.1.2009