Ein Papst rockt und rappt, das Publikum findet Gefallen daran…
„In nomine patris hatte bereits am 16.10.08 Premiere im Theaterzelt Fröttmaning. Dieses Zelt gehört zum Deutschen Theater München. Höchste Zeit für MFJ sich auf den Weg zu machen um sich selbst ein Bild von dem „verrufenen Papst“ zu machen.
Schon im Vorfeld löste dieses Stück mit seiner Thematik scharfe Debatten aus. Kennt man das nicht schon von irgendwoher? Klar! Von „Jesus Christ Superstar“ und was ist daraus geworden? Es gehört zu den meist gespielten und beliebtesten Musicals überhaupt und ist aus der großen Musicallandschaft nicht mehr wegzudenken. Bernd Stromberger ist Komponist, Autor und Liedtexter. Michael Kunze ist Schirmherr des Stückes und sagt selbst aus „Stromberger wagt sich an neue Stoffe und beherrscht das dramatische Handwerk. Er liebt das Publikum und will es unterhalten, aber er biedert sich nicht an. Autoren wie er sollten unter Artenschutz stehen.“ Wenn das mal kein Ritterschlag aus dem Mund eines Musicalmachers unserer Zeit ist? Kunze äußert sich zurecht auf diese Art. Stromberger ist es gelungen eine brisante und breite Mischung verschiedener Musikstile zu vereinen. Die Geschichte webt sich geschickt ein und ergibt am Ende ein harmonisches Ganzes.
Was ist zur Location zu sagen? Zunächst denkt man an eine einfache und abgespeckte Aufmachung eines Musicals. Einem Theaterzelt traut man doch kein großes, richtiges Theater zu… falsch gedacht. Ist man erst in dem blauen großen Bauch des Zeltes angelangt erinnert lediglich die Decke mit dem spitz zulaufenden, blauen Dach an ein Zelt. Roter Teppich, rote weiche Theatersessel, ab der zweiten Reihe jeweils stufenweise angehoben, kann man von jedem Platz eine tolle Sicht genießen und echtes Theaterfeeling stellt sich ein. … Und nein, es ist nicht kalt, es wird gut eingeheizt.
Nun zum Inhalt: Gabriel Schönkind hat in jungen Jahren eine einzige große Liebe- Eva. Jahre später wird er zum Papst gewählt und läßt sich den Namen Anastasius Christus geben. Aus dieser Berufung verlies er vor vielen Jahren Eva, da er der Ansicht war, dass dies sein richtiger Weg sei. Über all die Jahre hat er Briefe von Eva erhalten, sie jedoch niemals gelesen. Erst als er Eva gegenübersteht erfährt er, dass aus dieser ehemaligen Beziehung eine Tochter entstanden ist. Margarethe- seine Tochter- eine junge Novizin wird von ihm in den Vatikan geholt. Unwissend, wer der Papst wirklich ist, folgt sie seinem Auftrag nach Stockholm zu reisen und den Nobelpreisträger Dr. Heinrich Sand zu treffen um diesen nach Rom zu holen. Sand wird für den Preis nominiert, da er eine Weltformel als Beweis aufgedeckt hat, dass Gott nicht existiert. Es kommt, was kommen muss, beide verlieben sich einander. Der Kirchengegner und die Novizin, ein absolutes „No Go“! Aber die Liebe siegt und Margarethe tritt aus dem Konvent aus um Heinrich Sand zu heiraten. Später wird ist sie schwanger…
Anastasius hat eine Vision, in dem er einen weinenden Jesus sieht. Verleitet von dieser Erscheinung lässt er seine Tochter ohne deren Wissen mit genetischem Material des historischen Jesus befruchten um den „Nachfolger Jesus“ sicherzustellen. Als Margarethe erfährt, dass sie nicht von Heinrich Sand ein Kind erwartet, zudem erfährt, dass der Papst ihr Vater ist, und sie durch dessen Machenschaften nun Gott wiedergebären soll zieht sie folgenschwere Konsequenzen daraus…
Als der Papst von dem Desaster erfährt legt er sein Amt nieder und beschließt mit Eva eine Zukunft aufbauen. Er hat erkannt, dass er lange unter einem falschen Gottesbild geleitet wurde. Doch auch dieser Plan schlägt gründlich fehl und endet ebenfalls in einer Katastrophe. Kann die Liebe zwischen ihm und Eva dieser standhalten?
Gewiss, die Story löste heftige Diskussionen aus, aber sie ist zugegeben sehr umfassend und interessant. In seiner Umsetzung ist es allemal gelungen spannendes und modernes Musiktheater zu produzieren, wie man es seit langem nicht mehr so in dieser Art auf einer Bühne vorgefunden hat. In dieser Zeit, wo sich alles Musical betitelt, was annähernd mit Musik, Gesang, Tanz und Schauspiel gekoppelt ist, ist es wahrhaft schwer, in diesem Jungel des Angebotes die Rosinen herauszupicken. „In nomine patris“ ist zweifellos ein gelungenes MUSICAL. Klänge aus gregorianischem Choral, pompöser Kirchenmusik, rockigem Sound, jazzigem Klang, Rappbeat und Popballaden verschmelzen in diesem Stück gerade so, als wenn sie schon immer zusammen gehört hätten. Gerade die balladesken Songs wechseln sich rasant mit den schwungvollen Nummern ab. Der musikalische Leiter Bernd Leichtfried hat sein Orchester gekonnt im Griff. Mit der Geschichte durchläuft der Zuschauer alle Facetten an Emotionen und beginnt im Laufe des Stückes seine eigene Einstellung zu Gott und der Kirche zu hinterfragen. Es wird an die Vernunft, Toleranz und Gerechtigkeit appelliert, auch die Menschlichkeit, die mehr denn je an Wichtigkeit bedarf steht in all dem Chaos im Mittelpunkt. Zu recht! Wer sich mit dem Stück thematisch und inhaltlich tiefer befasst wird schnell feststellen, dass die Botschaft eindringlich und unabdingbar für eine gute und friedliche Welt heutzutage ist. Raffiniert eingebunden in unzählige Ohrwürmer bilden die beeindruckenden, farbenfrohen, stilistisch hochwertigen Kostüme, entworfen von Klaus Hellenstein und Cornelia Brey einen wahren Augenschmaus. Die ausgeklügelten Choreografien, die Tänze und Schrittfolgen beeindrucken und zeigen auch hier, dass mit Kurt Schrepfer (einigen bekannt als Mr. Thenardier aus LesMis/St. Gallen) ein mehr als gelungener Partner im Macher-Team ausgewählt wurde. Das Bühnenbild (ebenfalls von Klaus Hellenstein) ist einfach aber effektvoll gehalten, raffiniert durch eine Drehbühne wird aus einem Hotelfoyer im Nu ein Schlafzimmer, eine Vatikanhalle oder eine Touristenstraße. Nichts wirkt überladen, aber auch nicht zu karg. Eine anerkennenswerte Leistung! Alles in allem ist hier ein gelungenes Ergebnis mit einer hervorragenden Regie von Hansjörg Hack/Stephan Hoffstadt erzielt worden.
Kommen wir nun zu den Protagonisten der Show. Wo soll man da nur beginnen? Bei soviel Power und geballter Ausstrahlungskraft kann ich an dieser Stelle nur Einige nennen, ohne damit die Leistung der Anderen abzuwerten. An erster Stelle möchte ich hier Dean Welterlen nennen, der den Papst Anastasius Christus, bzw. zu Beginn Gabriel Schönkind verkörpert. Er verfügt neben einer ausgesprochen ausdrucksstarken, imposanten und klassiklastigen Stimme über ein beachtliches schauspielerisches Talent. Charisma und die Würde, die ein Papst ausstrahlen muss präsentiert er gleichermaßen überzeugend. Gleich zu Anfang kann er mit seinem Solo „Wo bist Du“ großen Applaus ernten. Auch mit „Golgotha“ kann er dem Publikum wahre Begeisterungsstürme entlocken. Ein wahrer Glücksgriff allemal, dieser Welterlen. Seine Zerrissenheit, als er sich zwischen Amt und Liebe entscheiden muss kann er hervorragend rüberbringen. Ein toller Charakterdarsteller, überzeugend und beeindruckend mit jedem Ton, den er singt.
Sogleich und in keinster Weise ihm nachstehend ist Jasmina Sakr zu erwähnen. Sie verkörperte die junge Novizin Margarethe, gleichzeitig die Tochter des Papstes. Sie dürfte mit Abstand DIE Überraschung der Show sein. Gleich zu Beginn tanzt sie im Rock/Popstyle mit einer ausgerüstet mit einer Gitarre und den anderen Novizinnen über die Bühne und kann binnen weniger Sekunden von ihrer klaren, kraftvollen rock-pop-igen Stimme in „Mutter Theresa“ überzeugen. Ihre Ausstrahlung auf der Bühne zieht die Blicke gebannt an. Unglaublich dieses Energiebündel! Aber auch später, wenn sie als Ärztin in hilfebedürftigen Ländern tätig ist, nimmt man ihr die gereifte Frau und Ehefrau Heinrichs ab. Ihre Balladen, die sie mit ihm singt sind überzeugend und sehr emotional interpretiert. Ein wahrer Genuß zum Hinhören! Auch sie verfügt über ein unfassbares schauspielerisches Talent. Es ist eine Freude Jasmina Sakr auf der Bühne zu sehen.
Conny Zenz, vielen bekannt u.a. als Sarah aus „Tanz der Vampire“ in Wien, ist ein „alter Hase“ im Musicalgeschäft. Schauspielerisch unbestritten zeigt sie Charakter und kann die verlassene und gekränkte Liebhaberin überzeugend darstellen. Gesanglich konnte im ersten Akt in wenigen Szenen auftrumpfen. Etwas blass wirkte sie teils, wobei dies aber auch ihre Enttäuschung über die misslungene Beziehung mit dem Papst glaubhaft wiederspiegelt. Teilweise erinnert sie etwas an Donna aus „Mamma Mia“…, die humorischen Szenen spielt sie in dem doch eher ernsten Stück recht gut heraus. Im zweiten Akt kann sie mit ihrer Soloballade „Die Republik des Himmels“ wahre Jubelrufe den Zuschauern entlocken. Einfach bombastisch diese Stimme die sie an den Tag legt. Zweifellos ist Conny Zenz eine großartige Darstellerin.
Thomas Jutzler als Reporter Hardy Peterson hat einen ganz großen Glanzpunkt in der Show, wenn er “Die Welt ist nicht verlorn“ singt, ein Apell an die Menschlichkeit, Toleranz und sowie der Akzeptanz aller Völker, Menschen und Kulturen. Tolle Melodie, ergreifender Text, wunderbare Perfomance. Aber auch sein „Sensationen“ im ersten und als Wiederholung im zweiten Akt sorgt für Applaus, bringen doch gerade diese Nummern rasanten Schwung in die Show und spiegeln unsere neugierige und sensationssüchtige Pressewelt wieder.
Als Kurienkardinal steht Ulrich Popp auf der Bühne. Er erinnert optisch etwas an Johannes Heesters, wenn er die Bühne betritt. Schauspielerisch überzeugt auch er mit einer einwandfreien Leistung, gesanglich sind keine Soli für ihn vorgesehen. Er fungiert in dem Stück als Berater des Papstes, weiß genau, wie er diesen nach seinen Vorstellungen lenken muss und wehe, wenn dieser nicht so agiert, wie er will, dann… Einen besseren Kurienkardinal kann man sich optisch und schauspielerisch ehrlich gesagt nicht vorstellen. Eine Idealbesetzung!
Marc Liebisch verkörpert Jesus und ist die Erscheinung bzw. Vision des Papstes. Er hat immer wieder gesangliche Glanzpunkte und kann schauspielerisch sowie stimmlich überzeugen und eine gute Perfomance liefern. Am Ende sorgt er für eine ganz besondere Art von „Überraschung“… Liebisch verkörpert diese zweifelhafte, brisante und interessante Rolle gerecht und auf seine sehr individuelle Weise, die großes Lob verdient.
Als Schwester Maria steht Sissy Staudinger auf der Bühne. Auch sie kann eine gewaltige Engagementliste aufweisen. Umso bedauerlicher, dass sie neben ihrem Einsatz im Tanz- und Gesangsensemble „nur“ eine Sprechrolle in „in nomine“ hat. Allerdings sorgt sie für die kleinen Nuancen in Sachen Humor und tut somit dem Stück gut, damit dieses nicht ganz in seiner ernsten Thematik zu verfallen droht. Man schmunzelt, wenn sie „ihren“ heiligen Vater auf eine derart sympathische Weise anhimmelt. Man darf an dieser Stelle verraten, dass sie im kommenden Jahr in Moulin Rouge, ebenfalls im Deutschen Theater, zu sehen und hören sein wird.
Auf keinen Fall vergessen werden darf an dieser Stelle Patrick Schenk, der im Ensemble und als Cover Heinrich Sand zu sehen ist. Sein Rap als aufdringlicher Souvenierverkäufer in den Straßen Roms bringt neuen Sound zwischen die Choräle und zeigt seine stimmliche Vielfältigkeit. Er ist ein Hingucker und sorgt für breites Schmunzeln, wenn er sehr realistisch einen italienischen Händler mimt. Das hätte man Patrick Schenk wohl weniger zugetraut. Auch er kann in seiner Rolle schauspielerisch überzeugen, egal ob als Händler, Reporter oder Kardinal und – er ist zurecht als Cover für Dr. Sand vorgesehen. Man darf gespannt sein (MFJ wird einen Nachtrag hierzu beifügen). UND- nicht zu vergessen, irgendwie erinnert er in der Rolle des Souvenierverkäufers an die Zeit, als er als Sky in „Mamma Mia“ in Stuttgart zu sehen war.
Was ist abschließend zu sagen? Wer einen wunderbaren Abend mit toller und abwechlsungsreicher Musik, wunderschönen Balladen, einfühlsamen Texten, grandiosen Darstellern, einfallsreichen Tanzszenen und einer rauschenden Kostümparty erleben möchte, der sollte zusehen, dass er schleunigst nach München fährt. Das Stück ist es allemal wert und ist würdig sich als Musical zu betiteln. Vor allem aber sollte man sich keinesfalls über die ein oder andere unangemessene, ja fast anmaßende Rezension irreleiten lassen. Hingehen, anschauen, selbst überzeugen und dann… einfach nur schwärmen – und – vielleicht sogar noch einmal hingehen 😉
Marina Christiana Bunk, 25.10.2008