Sodom und Gomorra im Pfalztheater Kaiserslautern erlebt Revival
Seit 22. November vergangenen Jahres flippen nun auch im Pfalztheater Kaiserslautern regelmäßig die Hippies im Musical „Hair“ aus. Das Stück wurde am 17. Oktober 1967 in einem Off-Broadway-Theater uraufgeführt, am 29. April 1969 feierte „Hair“ im Biltmore Theatre am Broadway Premiere. Ein halbes Jahr später ließ sich London vom Hippiewahn anstecken und auch Deutschland ist einen Monat später infiziert und bringt die deutsche Erstaufführung in München in einem kleinen Theater an der Brienner Straße auf die Bühne. Seitdem ist „Hair- The American Tribal Love Rock Musical“ ein beliebtes Bühnenstück, das alljährlich nicht nur Deutschlandweit zahlreiche Inszenierungen durchlebt. Buch und Texte stammen von Gerome Ragni und James Rado, die Musik hierzu lieferte Galt MacDermot.
Im Vergleich mit den vergangenen Bühnendarstellungen lehnt sich „Hair“ in Kaiserslautern ziemlich stark an den Kinofilm vom Jahr 1979 an. Auch die Urhandlung bleibt bestehen. Werden viele Stücke auf aktuellere weltpolitische Ereignisse umgeformt wie beispielsweise den Irak-Krieg, so handelt „Hair“ in Kaiserlautern nach wie vor vom Vietnamkrieg. Lediglich die Demonstrationsbanner der Hippies zu Anfang des Stückes, welche „Anti-Iraq“-Aufschriften tragen, irritieren an dieser Stelle ziemlich. Das ist aber der einzige logische Fehler in der Inszenierung.
Geleitet wird die Produktion von Peter Rein, sein Kreativteam besteht aus Annette Taubmann (Choreographie) von sowie Bodo Demelius (Bühne und Kostüme). Die musikalische Leitung unterliegt Günter Werno, mittlerweile allen MFJ Lesern bestens bekannt als u.a. Keyboarder der Prog Metal Band VANDEN PLAS sowie Komponist / musikalischer Leiter zahlreicher weiterer Vanden Plas Songs und Bühnenproduktionen („Ludus Danielis – the Play of Daniel“, Wiederaufnahme im März oder „ChristO – die Rockoper“). Auch der Chor, Extrachor, Ballett und die Statisterie des Theaters sind wieder mit von der Partie.
Für alle Leser, die mit der Handlung von „Hair“ noch nicht so betraut sind, hier eine kurze Zusammenfassung:
In den USA begeht man das Ende der 60’er Jahre. Der junge Claude Hooper Bukowski hat es sich zum Ziel gesetzt sein ländliches Oklahoma zu verlassen um in den Vietnamkrieg zu ziehen. Stolz aber auch mit einer gewaltigen Portion Naivität setzt er sich in den Bus und fährt nach New York. Dort trifft er im Hippie-beliebten Central Park auf George Berger, Anführer einer Hippiegruppe. Die Hippies leben „Peace, Love, Freedom and Happiness“ auf ihre ganz eigene Art. Sie widersagen jeglichem politischen Denken und setzen sich gegen Krieg, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit ein. Mit ihnen erlebt Claude, zunächst sehr verschlossen, jedoch durch den Rausch von Drogen schnell gelockert, ein paar ereignisreiche Tage. Er verliebt sich zudem in Sheila, Tochter einer gutsituierten New Yorker Upper Class Familie. Etwas unglücklich verlässt er die extrovertierte Gruppe schließlich und zieht nach Nevada weiter, wo die Armee ihren Stützpunkt hat.
Doch ein George Berger hat trotz seiner Überzeugungen viel Herz und erkennt Claudes Gefühle für diese Frau. Er beschließt mit der Gruppe nach Nevada zu fahren, Sheila selbstredend im „Gepäck“, um Claude zu besuchen. Die Truppen dort sind bereits in Alarmbereitschaft und so darf keiner das Camp verlassen. War die Reise von mehreren Meilen durch Amerika umsonst? Mit Hilfe von Sheila gelingt es Berger die Uniform eines Officers zu ergattern und kann somit unbemerkt in den Stützpunkt, folglich zu Claude, gelangen. Ihm bleibt am Ende nichts weiter übrig als mit diesem die Kleidung zu tauschen, damit Claude als Officer zu den Freunden abseits des Camps fahren kann.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Claude hat kaum das Lager verlassen, als die Truppen einberufen werden. Berger, überzeugter Kriegsgegner, verzweifelt jeder Sekunde mehr in der Claude nicht zurück kehrt und gerät Panik. Es bleibt ihm aber nichts weiter übrig als für Claude in den Krieg zu ziehen, da dieser viel zu spät im Stützpunkt eintrifft um Berger abzulösen…
Die Inszenierung und Kaiserslautern ist durchaus eine gelungene Bühnenshow. Es gestaltet sich schwer in dieser Zeit, in der dem verwöhnten Publikum zahlreiche Inszenierungen geboten werden, immer wieder etwas Neues und Einschlagendes zu produzieren. Aber jede Inszenierung hat seine Glanzpunkte. So kann man in vielen Momenten dieser Produktion gratulieren. Während der erste Akt zum Teil an manchen Stellen etwas langatmig wirkt, kann der zweite Akt hierfür im Gegenzug umso mehr packen, mitreißen und mit einem großen Finale abschließen.
Aber beginnen wir mit den Protagonisten. Hier wäre an erster Stelle Sven Fliege zu nennen, Claude-Darsteller, der bereits eine beachtliche Liste von Engagements aufweisen kann. Klassiker wie „Tanz der Vampire“, „Der kleine Horrorladen oder auch jüngst „ChristO – Die Rockoper“ reihen sich in seinen Lebenslauf ein. Er ist der Protagonist, der gerade im ersten Akt unbestritten mit seiner Stimme und seinem Schauspiel auffällt. Während die übrigen Darsteller etwas mehr Zeit zum Warmsingen benötigten, blühte er mit seinem ersten Ton auf und besticht durch eine klare und powerstarke Stimme. Selbst in Chorpassagen hört man ihn unverkennbar heraus. Überhaupt gelingt es Sven Fliege, der eigentlich eine fast langweilige, glatte Rolle hat, dieser Leben einzuhauchen. Er schaffte es spielend, seiner vorgegebenen Naivität eine gute Portion Egoismus und Humor beizumischen und am Ende, wenn er dem Schicksal ins Auge sehen muss, kann er Panik, Angst und Trauer überzeugend und berührend darstellen.
Tobias Licht als George Berger kann mit seinem Klassiker „I got life“ punkten und Begeisterung auslösen. Inmitten der spießigen Geburtstagsfeier von Sheila platzt die Gruppe herein und nimmt ungefragt an der langen, feingedeckten Tafel Platz. Nicht zuletzt begeistert er schauspielerisch als er sich frech an den Kronleuchter hängt und zum Entsetzen der Gäste daran pendelt. Er lässt es sich auch nicht nehmen, sein Gesäß mitten auf dem Tisch zu entblößen, als er „I got my ass“ in die „not amusten“ Gesichter schleudert. Im zweiten Akt kommt Tobias Licht wesentlich stärker zu Geltung und kann das, was seine Rolle vorsieht, nämlich der Leader der Hippies zu sein, glaubhaft vermitteln.
Samuel Schürmann als Woof fällt schon allein aufgrund seiner Größe und den betont langen hellblonden Haaren auf. Es mag nicht aus dem Kopf gehen, irgendwie erinnert er unverwechselbar an die Gestalt der Elben in der Kino-Triologie „Herr der Ringe“. Samuel Schürmann liefert die komplette Show über einen guten Job. Gleich zu Anfang kann er stimmlich mit „Sodomy“ überzeugen und auch später, wenn er den Titelsong des Musicals „Hair“ singt, kann er mit Witz das Publikum auf seine Seite ziehen, gerade dann, wenn er kundtut, dass er zwar nicht homosexuell ist, jedoch Mick Jagger nicht von der Bettkante stoßen würde.
OJ Lynch als Hud sowie Lea-Christin Garrelfs als Jeanie zeigen schwerpunktmäßig im Schauspiel Können. Es gelingt ihnen durch deren Monologe/Dialoge echte Lacher im Publikum zu erzeugen. Peti van der Velde ist nicht nur optisch eine Augenweide. Die dunkle Schönheit besticht in der Dreifachrolle Dionne / Priesterin/ Huds Frau gleich zu Anfang mit „Aquarius“ mit einer klaren und schönen Stimme. Ihre Bewegungen sind grazil und ihre Ausstrahlung auf der Bühne ist einfach unübertroffen. Großes gesangliches Highlight war in jedem Falle ihr Song „Easy to be hard“. Sehr stimmungsvoll wandelte sich die meist hippig-flippige Stimmung in eine ruhige und nachdenkliche Atmosphäre. Ihr gelang es in dem Song zu berühren und erhielt berechtigt begeisterten Applaus für ihre wunderschöne Performance.
Im Zusammenhang mit „Blackpower“ muss auch Daniela Grubert genannt werden. Sie hat im gesamten Stück ebenfalls durchweg einen grandiosen Job geleistet. Zwar verhielt sich sich eher still, dezent und zurückhaltend, trotzdem gelang es ihr nicht, ihr Könnnen unbeobachtet zu lassen. Sie sang und vor allem tanzte sich in den Vordergrund. Ihr Bewegungstalent ist wie auch ihre Stimme wirklich beeindruckend.
Leider wirkt Sabine Krappweis in der Rolle der Sheila öfters blass und unscheinbar. Auch diese Rolle würde es zulassen mehr zu zeigen und „frecher“ an die Rolle ranzugehen. Ist sie es doch, die sich ihrer konventionellen Herkunft widersetzt und die Hippies nach Nevada begleitet. Schade. In jedem Fall wäre die Rolle noch um einiges mehr ausbaubar. Das Solo „Good morning Starshine“ gibt ihr endlich die Chance zu zeigen, was sie gesanglich kann und präsentiert es sehr souverän. Die meisten Lacher der gesamten Show entlockte in jedem Fall Steve-Darsteller Nicholas Wood dem Publikum. Wenn er den altklugen Bruder von Sheila spielt, dabei in brauner, altbackener Weste, kleinkariertem Hemd und großer Hornbrille seine große Schwester belehrt und cholerisch „Die Versicherung läuft nur auf Daddy und mich“ ruft, wenn Berger ihm mal wieder den amerikanischen Schlitten unter dem Hintern „weggezogen“ hat, dann hört man in den gesamten Reihen viel Gelächter. Witzig anzusehen allemal die Bewegungen, wenn er dem „Schlitten“ hinterher rennt, dabei aber auf der Bühne aber tatsächlich rückwärts läuft… Es versteckt sich hier ein kleines komödiantisches Sternchen in Nicholas Wood.
An dieser Stelle sollten auf jeden Fall die Black Girls und die White Girls ihren Platz finden. Während die Black Girls (Gina Marie Hudson, Daniela Grubert und Peti van der Velde) mit ihren knallig-pinken kurzen Kleidern pure Blackpower, gesanglich sowie darstellerisch bieten, zeigen die White Girls den Gegensatz, indem sie kokett mit ihrem „Cheerleeder-Outfit“ Paroli bieten. Unter ihnen entpuppt sich die junge Charlotte Seeger mit ihrem Gesangssolo ebenfalls als Sternchen. Aber auch Jutta Mitschke und Lisana Hunsinger an ihrer Seite komplettieren das White-Girl-Trio gesanglich und darstellerisch wunderbar. Auf jeden Fall möchte ich an dieser Stelle noch Manuel Lothschütz als Hubert nennen, der unter den jungen Sängern mit einem überraschend-kraftvollen Solo überzeugt. Überhaupt ist er einer der Chormitglieder bzw. Darsteller auf der Bühne, der mit einer konstanten, sichtbaren Spielfreude und Einsatz auffällt. Erfreulich und lobenswert, dass der musikalische Leiter Günter Werno auch den ganz jungen Sängern/-innen die Möglichkeit gibt, sich unter all den Profis mit kleinen Soli einzubringen.
Kommen wir zu den Kostümen. Hippie-like eben. Sie sind nicht sonderlich schrill, eher angenehm anzusehen und es ist zu bemerken, dass hier nicht versucht wurde auf „Teufel komm raus“ etwas Verrücktes oder Skurriles zu erzeugen. All die Kostüme könnten direkt aus den 70’er Jahren importiert worden sein. Aber auch die realistischen Uniformen der Soldaten oder Offiziere sind sehr beeindruckend. Hier hat Bodo Demelius einen guten Job gemacht. Er ist auch für die Bühne zuständig. Die Ausstattung überzeugt wie schon bei den Kostümen durch schlichte Kreativität. Zwei seitliche und eine am Bühnenhintergrund angebrachte Leinwände projizieren neben Videoaufnahmen, Nahaufnahmen bunte Muster und in sich wechselnde Kreise. Sie verstärken den Eindruck der „Zustände“ in dem sich die Hippies durch ihren Drogenkonsum gerade befinden. Toll auch die Idee gleich zu Beginn des Stückes eine Straße auf der hinteren Leinwand einzublenden. Claude steht mit seinem Vater auf einem erhobenen Bühnenteil und es scheint so, als stehen sie tatsächlich auf dieser Straße, auf der sie Abschied voneinander nehmen. Zwei Elemente müssen auf jedem Fall erwähnt werden. Zum einen ist es der See, in dem die Revoluzzer baden gehen. Hierfür hat man inmitten auf der Bühne einen kleinen rechteckigen etwa 10 cm hohen „Pool“ in die Bühne eingelassen, der mit Wasser gefüllt wurde. Nicht nur den Protagonisten machte es sichtlich Spaß darin mit einem Bauchplatscher zu landen oder auf Knien darauf zu rutschen. Das Publikum war sichtlich amüsiert über diesen gelungenen Einfall. Zum zweiten war es die Darstellung der Gefängnisszene, die stark beeindruckte. Eigentlich ist ein eine einfaches Gitter, das von oben herunter gelassen wurde. Dahinter stehen die Hippies, verwinden sich in verschiedenen Szenen damit und werden einige Meter über die Bühne gehoben, wo sie still haltend verharren, während unten das Spiel weitergeht. Ein toller Eindruck, eine hervorragende gelungene Idee und eine beeindruckende Szene. Ansonsten sind es vorwiegend kleinere Requisiten die ihren Einsatz in dem Stück erhalten. Aber selbst bunte Bänder oder schlichte weiße Kutten als „Hare Krishna“ Jünger erzeugen große Wirkung in dem Stück.
Eine der gelungensten optischen Einlagen dürfte dann sein, wenn das Ballett als Skelette verkleidet, zwischen all den aufgestellten Soldaten zu einer schweren und zähen Melodie tanzt. Dabei bringen sie nach und nach alle Kriegshelden zu Fall, bis schließlich alle auf der Bühne liegen. Dramatisiert wird die Szenerie um einiges, indem die Kampfbewegungen in Zeitlupe ausgeführt werden. Hinzu kommt eine Gestalt, unverkennbar mit dem Strohhut und den halblangen Hosen sowie dem breiten T-Shirt, eine Vietnamesin. Sie tanzt dazwischen und beweint das unaufhaltsame Geschehen, das dieser Krieg mit sich bringt. Diese Umsetzung hinterlässt in den Gesichtern der Zuschauer durchaus Ernsthaftigkeit und Bedrücken. Choreographin Annette Taubmann kann man zu dem gelungenen Einfall einfach nur beglückwünschen.
Im Großen und Ganzen also ist mit „Hair“ in Kaiserslautern ein weiteres ansehnliches Bühnenstück inszeniert worden. Mit der Band „Vanden Plas“ geht auch das musikalische Konzept wieder einmal komplett auf. Aber wer etwas anderes bei dieser Band erwartet wird sowieso schnell enttäuscht werden. Die Vollblutmusiker sind einfach für alles zu haben, egal ob Hippiemusical, Rockmusical, Metal oder auch Balladen, sie sind halt Profis. Ergänzt wird das bewährte Quartett von den Instrumenten Flöte, Saxophon, Trompete und einer Posaune. Sie geben dem ganzen Klang nochmal eine weitere Fülle und Ausdruck.
Somit ist „Hair“ in jedem Fall ein gelungenes Stück und als empfehlenswert einzustufen. Noch bis zum 29. Mai sind Vorstellungen geplant. Aber wer das Theater kennt, kann damit rechnen, dass vereinzelte Verlängerungstermine stattfinden können. Also, reingehen und ausflippen!!!