Am 03.02.2011 feierte das Grand Hotel im Staatstheater am Gärtnerplatz München eine gefeierte Premiere. Zeit für MFJ das Stück in München zu besuchen und sich einen Eindruck zu machen.
Die Geschichte: Vorlage ist der im Jahre 1929 von Vicki Baum geschriebene Roman Menschen im Hotel sowie der spätere Hollywood-Film Menschen im Hotel (Grand Hotel) von 1932. Das Musical beleuchtet die Ereignisse, die sich 1928 an einem Wochenende in einem eleganten Berliner Hotel abspielen. Die Lebensgeschichten der exzentrischen Hotelgäste überschneiden sich auf teils amüsante, teils tragische Weise. Da ist die Primaballerina Elizaveta Grushinskaya. Sie hat ihre besten Jahre hinter sich, findet sich in leeren Theatern wieder und wird vom Publikum „in der Luft zerissen“. Nur ihre treue Beraterin an ihrer Seite, Raffaela kann sie ermutigen und scheint sie zu verstehen. Dann ist da der todkranke Buchhalter Kringelein. Er sucht „Leben“ im Grand Hotel und will die letzten Tage, sowie seinen unverhofften Geldsegen im Hotel verprassen. Im Hotel geht der junge und gutaussehende Baron Felix von Gaigern ein und aus. Eigentlich ist er bankrott, hat Schulden und genießt trotzdem den Luxus in vollen Zügen. Zeit für einen Flirt hier und dort ist allemal. So zum Beispiel mit der jungen Stenotypistin namens Flämmchen. Sie sieht sich auf dem Weg nach Hollywood, dafür ist sie beinahe bereit, sich selbst zu verkaufen. Sie muss erkennen, nicht jeder der ihr im Leben begegnet meint es auch gut mit ihr. Und last, but not least, ist da noch der zynische Doktor Otternschlag, ein Kriegsveteran, schwer verwundet. Er betrachtet ungläubig das Ein und Aus im Hotel und kann sich einen zynischen Spruch hier und da einfach nicht verkneifen.
Am Broadway lief die Show von 1989 an über 1000-mal in der Inszenierung und Choreographie von Tommy Tune. Die Produktion war für zwölf Tony Awards nominiert und errang fünf für die beste Regie, Choreographie, Kostüme, Lichtdesign und für den besten Nebendarsteller in einem Musical (Jeter).
Die deutsche Erstaufführung zeigte ab Januar 1991 das Theater des Westens Berlin. Im Londoner West End lief das Musical erstmalig 1992 im Dominion Theatre als Gastspiel einer amerikanischen Tourneeproduktion.
Um die Inszenierung mit wenigen Worten zu beschreiben: Pavel Fieber hat eine rundum gelungene Bühnenshow präsentiert. Hier passt einfach alles zusammen. Nebst überzeugenden und stimmstarken Hauptrollen, sieht der Zuschauer wunderbare, stilsichere und aufwändige Kostüme (Christian Floeren). Den Besucher erwartet ein liebevoll-gestaltetes Bühnenbild, multifunktionell und passend, nicht gewollt modern, einfach harmonisch wirkend zur Musik (musikal. Leitung: Andreas Kowalewitz). Ein stimmungsvolles Lichtdesign rundet den Gesang und das Spiel auf der Bühne ab.
Und dann wäre da das Musical Gastensemble, das vor Freude und Schwung nur so sprüht. An dieser Stelle sei zu sagen, dass Hardy Rudolz hier eine anerkennenswerte Leistung gebracht hat. Endlich ein Ensemble, das weder tröge noch gelangweilt seine Choreografien tanzt. Esprit sowie Sing- und Tanzfreude stecken allzu gerne an und als Zuschauer möchte man am liebsten ebenfalls das Tanzbein schwingen. Es wäre toll, das Ensemble (Michaela Grundel, Nadine Haberl, Eve Rades, Nina Steils, Katrin Wunderlich, Christoph Hanak, Michael Kitzeder, Korbinian Reile, Gero Wendorff, Stephan Witzlinger) demnächst wieder auf der Bühne erleben zu dürfen.
Daneben findet sich das eingespielte Theaterensemble, das die Telefonistinnen/Gesellschafter spielt (Alpinia Albesteanu, Christa Schneider, Margot Schneider, Ute Walther, Claudia Wettengel, Sylvia Wiberg, Dirk Dreisang, Markus Heissig, Uwe Kindler, Janu Kluczewski, Dirk Lüdemann, Marcus Wandl).
Szenisch schön umgesetzt erscheint dann und wann ein Tanzpaar auf der Bühne, das gekonnt, präzise und zu keinem Zeitpunkt aufdringlich mal im Hintergrund, mal im Vordergrund über die Bühne schwebt. Die Tänzerin Stephanie Götz und ihr Tanzpartner Davin Koglin bieten einen harmonischen Augenschmaus.
Kommen wir zur Bühnenausstattung: Heutzutage vermisst man eine starke Ausstrahlung und kreative Hand selbst viel zu sehr. Raffinierte und überraschende Effekte werden oftmals mit berühmten Namen ersetzt, die auf der Bühne agieren und erfolgreich über missende Qualität und Quantität ablenken. Hier muss man das Staatstheater wirklich einmal hervorheben. Es scheut keine Kosten und Mühen, egal ob in der Kostümgestaltung, vom Kopf (Frisuren, Hüte) bis Fuß (Schuhe, Socken) oder der Bühnenbauten mit seinen kleinen liebevollen Requisiten. Alles ist stets stimmig und aufwändig eingesetzt.
Die große Drehbühne zeigt opulent, was mit dieser aus kreativer Sicht alles anzustellen ist. Die Möglichkeiten sind immens und das Staatstheater weiß dies auszuspielen. Nebst einer großen Hotellobby ist der Eyecatcher eine goldene, gebogene Treppe, die hinauf zu den Zimmern führt. Wendet sich die Drehbühne so zeigt auf der Rückseite zwei Ebenen, oben zwei Hotelzimmer (die des Generaldirektors Preysing und das Zimmer der Ballerina Elisaweta Gruschinskaja). Unten erkennt man die Bar/Restaurant. An der linken Seite der Bühne über einen breiten Steg zum Zuschauerparkett ist eine sogenannte Lounge aufgebaut, auf der Kriegsveteran Oberst Dr. Otternschlag unbemerkt das Geschehen beobachten kann. Zur Rechten, gegenüber ist die große, in Gold gehaltene Rezeption zu sehen, stets besetzt mit Empfangschef Rohna und Erik, dem Assistenzportier. Das Schöne ist hier, das Orchester im Orchestergraben ist umgeben von Bühne, so dass die Darsteller ganz nahe am Publikum spielen und tanzen können und sich integriert im „Grand Hotel“ fühlen können. Eine tolle Idee und wirkungsvolle Gestaltung.
Immer wieder überraschen kreative Ideen der Bühnenrequisiten, für die Theater eigentlich bekannt ist, das Publikum. Hier ein Beispiel: Große Spiegel, erwecken den Eindruck, man stehe mit Ballerina Gruschinskaja auf der Bühne, die zu ihrer achten Abschiedstour ansetzt. Die Ränge des Staatstheaters spiegeln sich wieder auf der Bühne und ergeben einen wunderbaren Effekt für den Zuschauer, der sich mitten in der Ballettinszenierung wiederzufinden scheint.
Kommen wir zu den Schauspielern und Sängern, die im Laufe des gesamten Stückes allesamt eine ansprechende und überzeugende Leistung geboten haben.
Da wäre als erster Lucius Wolter in der Rolle des Baron Felix von Gaigern. Die Beschreibung des Charakters, ein junger Adeliger, leichtlebig, charmant, charismatisch, auf großem Fuß lebend, gutaussehend… als das verkörpert und stellt Wolter schon einmal perfekt dar. Stimmlich gesehen singt er sich schon zu Beginn mit seinem ersten Song „Ich will im Rausch endlich sorgenfrei leben“ verdient in die Herzen des Publikums. In den kraftvollen Passagen wirkt er weder unsicher noch dünn, ganz im Gegenteil. Und auch in den ruhigen Liedern wirkt seine Stimme, weich, warm, umgarnend. „In Liebe fiele nicht vom Himmel“, dem Duett mit Ballerina Gruschinkskaja, harmoniert er mit der reifen Diva. Kurz vor seinem Tod leidet mit, wenn er sterbend „Rosen auf dem Bahnsteig“ geschwächt und kraftlos singt. Wolter ist schauspielerisch sowie gesanglich ein Gewinn für die Inszenierung.
April Hailer in der Rolle von Elizaweta Gruschinskaja, der gealterten Ballerina, strahlt in ihrer Rolle. Dramatisch überzeugend spielt sie die gefrustete und alternde Diva, die einsehen muss, dass ihre besten Jahre vorbei sind. Sie versinkt glaubhaft in ihrem Misserfolg. Ihr Aufblühen, das Hoffnung schöpfen, als der junge Baron in ihr Leben tritt verzaubert sie. Sie blüht auf und gewinnt an Strahlkraft. Gesanglich und schauspielerisch passt sie sich voll und ganz an die Wandlung an und begeistert das Publikum mit einer tollen Leistung.
Marianne Larsen, MFJ hat so einige Berichte über sie geschrieben (Sweeney Todd, My fair lady, Orchesterprobe La Traviata…), begeistert immer wieder aufs Neue. Obwohl die Rolle der Raffaela Ottanio kleiner angesetzt ist, als in vielen anderen Stücken, so ist es ein unbewusstes Muss, sich auf sie zu fixieren, sobald sie die Bühne betritt. Selbst wenn sie lediglich die Treppen langsam herunter schreitet sieht der Zuschauer sie an. Stimmlich muss man zu dieser Frau nicht mehr viel sagen. In „All die Jahre/Villa über dem Meer“, „Was sie braucht“, oder am Ende in „Wie ihr nur sagen“ ist sie unverkennbar ein gesangliches Feuerwerk, stark, kraftvoll, ausdrucksstark, und doch so weich und ansprechend. Jeder Ton sitzt, jede Bewegung harmoniert. Ein gelungenes Gesamtwerk.
Frl. Flamm, genannt Flämmchen traut sich einiges zu. Milica Jovanovic verkörpert das junge, motivierte Mädchen mit viel Freude, Überzeugung und Esprit. Ihr nimmt man es ab, dass sie ihre Sekretärinnenkarriere liebend gerne gegen eine Showkarriere in Amerika eintauschen würde. Naiv und euphorisch stürzt sie sich in ihre Zukunft. Sie singt und tanzt sich in die Herzen der Männer und Zuschauer. „Die hat aber Power“ höre ich es von der Seite flüstern – und es stimmt. So habe ich Jovanovic noch nie tanzen sehen. Dazu eine Stimme, die über ebenso viel Power verfügt wie ihr Tanz, dieses junge Talent hat es nicht umsonst schon nach Tecklenburg (AIDA, Rolle: Nehebka) geschafft, Deutschlands wohl berühmtester und erfolgreichster Musicalbühne.
Gunter Sonneson in der Rolle des Otto Kringelein, jüdischer Buchhalter ist der Ruhepunkt des Stückes. Seine ruhige besonnene Art, sein Charakterwesen ist die Waage, die die Schalen ins Gleichgewicht bringen. Man könnte ihn als gute Seele betrachten, die das oberflächliche Volk, das im Hotel ein- und ausgeht ausgleicht. Seine ruhige und angenehme Art des Schauspielens begeistert. Sein harmonischer Gesang lädt zum Zurücklehnen ein, wenn das schwungvolle Ensemble gerade mal eben wieder über die Bühne schwirrte. Songs wie „Im Grand Hotel“ und zuletzt „Wir trinken auf das Leben“ stehen ihm gut und überzeugen.
Hardy Rudolz in der Rolle des Generaldirektor Preysing… Der verheiratete reife Mann weiß was er will. Er will diese junge Dame, Flämmchen, für sich gewinnen und ein paar schöne Stunden mit ihr verbringen. Wäre diese jedoch nicht dem Charme des jungen Barons verfallen. Zunächst den netten Generaldirektor verkörpernd, kommt sein wahrer Charakter, die Gier nach Macht und Geld schnell zum Vorschein. Menschlichkeit kennt er nicht. Hart und bestimmend überzeugt Rudolz das Publikum von seinem Schauspiel und macht sich somit freiwillig aber mit gesundem Selbstbewusstsein zum „bad man“ auf der Bühne. Er macht seinen Job wunderbar und nicht nur diesen. Als Choreograph hat er das junge Musical Gastensemble auf Trab gehalten und all die schwungvollen, faszinierenden und mitreissenden Choreografien einstudiert. Bravo, dies ist mehr als gelungen!
Oberst von Otternschlag, Dirk Lohr, ist von der ersten Sekunde bis zum letzten Takt auf der Bühne zu sehen. Hier liegt sein Schwerpunkt im Schauspiel. Er beobachtet sitzend in der Hotellounge das gesamte Geschehen auf der Bühne, das Treiben, Liebeleien, Hochmut sowie Geld- und Machtgier. Er hält mit seinem Zynismus nicht hinter dem Berg. Feuert hier und da seine bissigen Bemerkungen ins Publikum, sehr zum Amüsement. Diese Rolle passt zu ihm. Die vereinzelten Gesangspassagen zeigen, dass in Lohr auch ein wunderbarer Sänger steckt, wie man schon in Stücken wie „ChristO“, „Sweeney Todd“ oder „My fair lady“ erleben konnte.
Thomas Peters und Mario Podrečnik sieht man oft im Doppelpack. Peters in einer Doppelrolle, zum einen die des Rhoda, der vom Baron dessen letzten Schulden abholen möchte und in der zweiten Rolle des Empfangschefs/Chauffeur. Mario Podrečnik spielt Erik den Portier. Beide harmonieren im Zusammenspiel wunderbar. Der herzlose Empfangschef drangsaliert den leidenden Portier, der nicht nur in Geldnöten steckt, sondern dessen Frau auch noch kurz vor der Geburt steht. Für all das hat sein Vorgesetzter kein Mitleid übrig. Er denkt nur ans Hotel… und an sich. Wunderbar verkörpern Peters und Podrečnik ihre Rollen. Sie überzeugen gleichermaßen, laden zum schmunzeln ein und regen zum Denken an. Zwei kleinere Rollen, die dennoch eine große Wirkung beim Publikum hinterlassen.
Als Manager und Organisator von Ballerina Gruschinskaja steht Hansjörg Hack als Zinnowitz/Sandor mit extrem ungarischem Dialekt auf der Bühne. Ihm gelingt es nicht, seinen Schützling sensibel auf ihren Misserfolg und auf leere und enttäuschte Theaterhäuser vorzubereiten. Er sieht nur das Geld, das sie einnehmen könnten und will sie zwingen aufzutreten. Dennoch kommt er gut rüber, kann den Humor des Publikums erreichen und zeigt, was in ihm steckt.
Zuletzt wären da noch die beiden Barkeeper, Jimmy 1 und Jimmy 2. Tom Schimon und Vladimir Maxim Korneev bieten ein schon akrobatisches Showvergnügen auf der Bühne. Witzig, voller Schwung und Charme springen, tanzen und singen sie sich in die Herzen der Besucher und hinterlassen einen überraschenden Eindruck. Am Ende ernten sie verdient Applaus für eine außergewöhnliche Darbietung.
Am Ende ist zu sagen, wer zwischen all den Großproduktionen, die überall auf der Welt 1:1 umgesetzt sind, mal wieder eine individuelle und außergewöhnliche Inszenierung mit überzeugenden Darstellern, freudestrahlenden Tänzern, eine opulenten Bühne und stilvollen Kostümen sehen möchte, der sollte den Weg nach München fahren und sich im „Grand Hotel“ einchecken. Er wird nicht enttäuscht sein. Hier kann man für Stunden“ im Rausch sorgenfrei leben“. Also, Kartenkaufen, denn entweder „man hat oder nicht!“ Jawohl! … Cheers!