War noch vor zwei Spielzeiten das Musical „Les Miserables“ oder vor einem Jahr das Musical „Jekyll & Hyde“ beinahe überall im deutschsprachigen Raum verbreitet wohin das Auge sah, so scheint es, dass das Musical Aida aus der Feder von Elton John und Tim Rice nun dran ist. Letzte Spielzeit mitunter in Coburg zur Aufführung gebracht, so ist Aida diese Saison in Bad Gandersheim , Staatz, Klingenberg und seit Samstag, 10.09.2011 auch im Staatstheater in Darmstadt zu erleben. Der aufmerksame Besucher erkennt somit immer Trends, hat aber gleichzeitig die Möglichkeit, sich über diverse Inszenierungen einen Eindruck zu verschaffen. Sicher ist, nicht wer die aufwändigste Produktion aufweist und die bekanntesten Namen nennen kann, hat zwangsläufig Erfolg. MFJ war nun in Darmstadt zur Premiere zu Gast.
Folgende Castliste kann sich hier sehen lassen:
AIDA: Dominique Aref
Radames: Chris Murray / Martin Pasching
Amneris: Sigrid Brandstetter
Mereb: Andreas Wagner
Zoser: Randy Diamond
Pharao: Hubert Bischof / Hans-Joachim Porcher
Nehebka: Sarah Rögner
Amonasro: Malte Godglück
Das Kreativteam besteht aus:
Chor, Tanztheater-Ensemble, Statisterie und Staatsorchester des Staatstheaters Darmstadt
Musikal. Leitung: Vladislav Karklin
Inszenierung: Johannes Reitmeier
Choreografie: Anthoula Papadikis
Bühne: Thomas Dörfler
Kostüme: Michael D. Zimmermann
Videoprojektionen: Karl-Heinz Christmann
Choreinstudierung: André Weiss
Eigentlich könnten wir uns an dieser Stelle eine Inhaltsangabe des Stückes übergehen, denn den Meisten dürfte die Geschichte bekannt sein. Nun gut, wollen wir dennoch eine kurze Beschreibung liefern:
Der ägyptische Heerführer Radames zieht im Auftrag des Pharao in den Krieg gegen das kleine königliche Volk Nubien. Im Rahmen dieser Beutezüge werden nicht nur die Bewohner, sondern auch der König Nubiens selbst, Amonasro und dessen Tochter Aida gefangen genommen. Aida wird Zofe der Tochter des Pharao, Amneris, die oberflächlich und naiv scheint, mehr der Mode und der Schönheit verschrieben zu sein scheint, als das wahre Leben zu verstehen. Schnell gewinnt Aida die uneingeschränkte Sympathie Amneris, ohne ihre wahre Identität preiszugeben. Amneris, mit Radames verlobt, vergöttert diesen und kämpft unermüdlich um seine Gunst, der dem ganzen eher distanziert gegenübersteht. Vor „Liebe blind“ bemerkt zunächst nicht, dass sich zwischen Radames und Aida eine Liebesbeziehung anbahnt… Zu spät wird die Affäre aufgedeckt… Und dann wäre da noch der intrigante Zoser, Berater des Pharaos, der auf zunächst unerklärliche Weise die Fäden des Geschehens in der Hand hat…
Schon wie bei der offiziellen Broadway Inszenierung beginnt die Geschichte im ägyptischen Museum, in dem Amneris in einer Ausstellungsvitrine zum Leben erwacht und somit die nächsten drei Stunden in einer Art Erzählerfunktion einläutet.
Sigrid Brandstetter verkörpert die Rolle der Pharaonentochter. Stimmlich ist sie der Rolle in jedem Fall gewachsen. Mal kraftvoll, mal weich, mal aggressiv, sie bringt Varianten in die Stimme. Leider aber gelingt es ihr weniger im Schauspiel die naive, kindliche Ader, welche die junge, oberflächliche, modeorientierte Prinzessin besitzt zu vermitteln. Zu reif, zu erwachsen, zu gediegen wirkt sie. Vielleicht ist das auch Brandstetters Absicht, eine etwas verantwortungsbewusstere Amneris zu präsentieren. Das mag an dieser Stelle dahingestellt sein. Fakt jedoch: das Freche, das Witzige und teils hysterisch-Eifersüchtige im Kampf um die Gunst Radames geht ihr ab. Wenn sie singt, dass sie weißt, wie sie ihre „Reize hübsch drapieren“ kann, so fällt es schwer ihr dies abzunehmen. Hier ist noch eine Menge Spielraum nach oben, um diese faszinierende Rolle, die mit Esprit und Sexappeal betont werden sollte, auszufüllen. Ihr „Sinn für Stil“ könnte durchaus mehr Power vertragen um ihre „Unwiderstehlichkeit“ zu beweisen. Mehr Frauen-Power bitte 😉
An ihrer Seite Radames, der ägyptische Heerführer, wird von Chris Murray gesungen. Murray gehört seit vielen Jahren zur Creme de la Creme der Musicalbranche. Kraftvoll, zielstrebig ist sein Spiel, voll und energisch wechselt er seine Stimme in sanfte, ruhige und melodische Töne. Passend zu jeder Sequenz stimmt er an. Besonders „Radames Brief“ beweist großes Gefühl in der Stimme, das berührt. Im Gegensatz zu seinen zahlreichen berühmten Bühnenkollegen wie beispielsweise Mathias Edenborn, Mark Seibert oder Bernhard Forcher, spielt er einen gewitzten Radames, weniger den harten arroganten Krieger. Murray spielt auch nicht den romantischen, charmanten Verführer, er zieht er auf seine eigene Art Amneris sowie Aida auf seine Seite und letztlich auch das Publikum.
Aida wird gespielt von Dominique Aref. Sie war in zahlreichen Produktionen wie erstmals in der Tourversion durch Deutschland und später unter anderem in Coburg als Aida zu sehen und hören. Sie lebt ihre Rolle, leidet mit allen Facetten ihres Körpers. Ihr Schauspiel beherrscht sie fabelhaft und überzeugend. Routine – keine Spur. Dennoch, wenn sie so leidet, leise singt, fast flüstern, so wirkt ihre Stimme an manchen Stellen recht dünn, kaum hörbar, was in den hinteren Reihen tontechnisch zu großen Problemen kam. Diesliegt freilich nicht an der fantastischen Darstellerin, vielmehr an der Toneinstellung. Denn: in „Durch das Dunkel der Welt“, beweist sie dass sie über ein erstaunliches Stimmvolumen verfügt, vergleicht man das mit ihrem wirklich sehr zerbrechlichen Körperbau. Dominique Aref dürfte sich als DIE Aida in unseren Breitengraden etabliert haben… einfach immer wieder eine große Freude sie zu sehen und hören.
Zoser ist der Bösewicht des Stückes. Der Berater des Pharaos verfolgt Interessen ganz spezieller Art. Randy Diamond schlüpft in die Rolle des „Bad Man“ und beweist mal wieder seine Wandlungsfähigkeit. Betritt er die Bühne ist Action und Drive garantiert. Er fegt über die Bühne, tanzt mit dem Ensemble, kämpft mit Schwert und Lanze und singt dabei bewährt kraftvoll und problemlos bei vollem Atem. Eine Figur, die alle Aufmerksamkeit auf sich zieht und das Publikum immer wieder aus dem drohenden Sekundenschlaf rettet.
An dieser Stelle muss man sagen, dass das Stück generell durch seine langen Dialoge zu Langatmigkeit tendiert. Hier könnte man etwas mehr Tempo einsetzen, mehr Betonungen und vielleicht nicht alles so langsam, betont, deutlich präsentieren. Die drei Stunden Show sind selbst bei den gut gepolsterten Sitzen des Theaters schwer auszuhalten. Dankbar nahm demnach das Publikum den Schwung und Action von Diamond auf und bewies dies mit begeistertem Applaus.
Letztere der Solistenriege sind Mereb (Andreas Wagner) und Nehebka, gespielt von Sarah Rögner zu nennen. Beide beweisen ein gutes Schauspiel. Ob Mereb jedoch stimmlich mit seinem klassischen Tenor „zu alt“ besetzt ist, mag man sich an dieser Stelle fragen. Mereb ist ein gewitzter Gauner, ein Pokerface, der es versteht aus Nichts Geld herauszuschlagen. Dies hat Wagner schaupielerisch leider nicht versucht zu vermitteln. Er singt und spielt einen braven, ergebenen Diener des Heerführers, ohne kantigen Charakter. Das ist sehr bedauerlich, denn diese Rolle kann so einiges an Phantasie beim darstellenden Künstler herausfordern. Technisch jedoch singt er ohne Makel und zugegeben, wenn auch gewagt, ist es interessant diese Rolle mit dieser Stimme zu besetzen. Die Rolle der Nehebka ist mit Sarah Rögner sehr gut besetzt. Stimmlich und schauspielerisch beweist sie großes Potenzial und weiß ihre Präsenz auf der Bühne auszunützen. Der Applaus am Ende zeigt, dass sie ihre Sache sehr gut gemacht hat. Hoffentlich wird man bald mehr von ihr auf der Bühne des Musicals sehen und hören.
Was ist zur Bühnenausstattung zu sagen. Nicht aufwändig, viele Videoprojektionen unterstreichen die Show, im Großen und Ganzen ist alles Wichtige zu sehen. Drehbare Treppen, die seitlich gewendet eine goldene Pyramide anmuten sind geschickt eingesetzt. Dennoch vermisst man den prunkvollen, fast protzigen Thronsaal des Pharao. Eine Schiebewand mit grauem Stein mit angemuteten Säulen stellt den Saal dar, in dem der Pharao regiert. Gerade die Ägypter waren berühmt, dass überall Gold glänzte. Dies vermisste man hier bei den gesamten Kulissen.
Die Kostüme des Pharaonenheeres dagegen typisch weißes Leinen, mit blau-goldfarbenen Manschetten besetzt. Ein toller Anblick. Die Krieger in schwarz-grau gehalten wirkten ebenfalls überzeugend. Die Kleider der modeorientierten Amneris dagegen schienen in durchgehenden Violett eher unspektakulär. Bei ihrem Song „Sinn für Stil“ erwartet man eine Modenschau, die sich vor Prunk, Gold, Glamour und Glitter nicht mehr halten kann, aber auch hier war alles schlicht Ton in Ton mit Blau-Violett gehalten. Der Bezug zu Ägypten ging gänzlich ab, was bedauerlich ist, denn ein riesiger Schirm als Kopfbedeckung… das erklärte sich nicht wirklich dem Zuschauer.
Der Chor und dem Ensemble muss man ein großes Lob aussprechen. Die kraftvollen Stimmen unterstrichen das Spiel des verzweifelten Nubischen Volkes außerordentlich und hinterließen ein imposantes Finale des ersten Aktes mit „Durch das Dunkel der Welt“. Eine tolle und beeindruckende Leistung der Sänger.
Generell ließ der zweite Akt die Erwartungen weit hinter sich. Sehr langatmig zog sich dieser hin. Von der stolzen Prinzessin Amneris war nichts mehr zu sehen. In fast dauergebückter Haltung sah man sie auf der Bühne singen, wirkte mehr gequält und leidend. Ihre Zofen sind wie vom Erdboden verschwunden, sie teilt ihre Verzweiflung in „die Wahrheit“ ihrem Thron mit… der eher einem Zahnarzt- oder Kosmetikstuhl gleicht… lediglich die goldene Farbe lies vermuten, dass dies ihr Thron ist.
Der Funke des hoffnungslosen Verliebtseins in DEM Liebessong des Stückes „Sind die Sterne gegen uns“ das Duett Amneris und Radames mag einfach nicht glaubhaft wirken. Allein, dass die Treppen durch das ganze Lied hinweg um die eigene Achse gedreht werden, die Beiden niemals mehr als sich nur an den Händen halten können, bevor sie wieder getrennt werden, wirkt angespannt. Die gesamte Atmosphäre kommt gehetzt und so gar nicht romantisch und verliebt rüber, da können die Darsteller noch so inbrünstig singen. Das Lied verliert dadurch an Charme gänzlich.
An dieser Stelle muss auch mal gefragt werden: was bitte ist mit den Prinzessinnen im 2. Akt los? Sie treten ständig gebeugt mit einer Hand vor dem Magen gehalten auf. Wo sind die einst so stolzen und tapferen Kämpferinnen… Wo sind die Frauen, zwischen denen sich der stattliche Radames nicht so einfach entscheiden kann?
Abschließend gibt es einen überraschenden Effekt: das Grab der Liebenden. Die Bühne hebt sich, Amneris wird auf dem Pharaonenthron sitzend nach oben gefahren und darunter erscheint das Grab, in dem Aida und Radames lebendig begraben werden.
Das Bühnenbild gibt ausreichend Zeit über die letzten Zeilen Amneris nachzudenken, wenn sie singt:
„Die Geschichte stellt die Frage, wo der Sinn des Leidens ist.
Und die Hoffnung gibt als Antwort: Liebe die den Tod besiegt.“
Marina C. Bunk, 11.09.2011