Am 25.09.2011 hieß es für die Darsteller des Musicals Chess am Bielefelder Stadttheater zum ersten Mal: Vorhang auf!
Schach ist ein zweideutiges Wort und so handelt dieses Stück, das von Tim Rice, Benny Andersson und Björn Ulvaeus geschrieben wurde, nicht nur von dem Sport, sondern auch von den Schachzügen der Politik. Während der Amerikaner Frederick Trumper auf dem Brett gegen den Russen Anatoly Sergievsky spielt, laufen parallel die Schachzüge des Kalten Krieges.
Obwohl Trumpers langjährige Geliebte Florence Vassy zunehmend von der Selbstherrlichkeit, Unberechenbarkeit und forschen Art des Amerikaners abgestoßen werden, versucht sie seinen Ruf zu retten, indem sie an seiner Stelle ein klärendes Gespräch mit Anatoly führt. Doch die hübsche Ungarin kommt dem Russen dabei näher und das Leben nimmt seinen Lauf: Seiten werden gewechselt und die Sicht auf die Dinge verändert sich.
Diese Inszenierung des Musicals Chess wartet nicht allein mit großen Namen und großartigen Stimmen auch, sondern besticht auch durch eine detailreiche, fast schon liebevolle Umsetzung der Szenen.
Roberta Valentini kann in der Rolle der Florence Vassy in vielen Szenen ihre wundervolle, klare Stimme einsetzen. Neben den bereits bekannten raueren Tönen von ihr erlebt man sie hier auch mit sanften, höheren Tönen, die gut zu ihrer Stimme passen. In den Szenen, in denen Florence ihre Stärke zeigt, bekommt man als Besucher leicht eine Gänsehaut. Nobody’s Side verbindet diese Seiten von Florence – sanfte und starke Töne nebeneinander. In dieser Szene hat besonders die Kinderdarstellerin beeindruckt, die allein durch ihr Schauspiel Florence im Kindesalter darstellte und toll mit Roberta Valentini harmonierte.
Florence Vassy wechselt im Laufe der Geschichte den Mann an ihrer Seite. Zu Beginn ist die Ungarin noch mit dem amtierenden Schach-Weltmeister Frederick Trumper, eindrucksvoll und rockig von Alex Melcher gespielt, liiert. Alex Melcher ist für seine rockigen Töne, die seine einzigartige Stimme noch besser zur Geltung kommen lassen, bekannt. Frederick Trumper ist eine von wenigen Figuren, die Farbe in das ansonsten eher schwarz-weiß gehaltene Stück bringen. Seine rote Jacke symbolisiert seine Leidenschaft – nicht nur zum Schachspiel.
Anatoly Sergievsky wird eindrucksvoll von Veit Schäfermeier dargestellt. Seine klare und starke Stimme harmoniert im Duett sehr gut mit Roberta Valentinis Stimme. Auch das Schauspiel der beiden, während sie sich langsam näher kommen, unterstreicht diese Szene. Veit Schäfermeier imponiert mitunter nicht nur durch seine Stimme, sondern auch durch sein adrettes Erscheinungsbild – hier hat die Kostümabteilung ganze Arbeit geleistet. Allein durch die weiße Hose und die schwarze, an einen Matrosen erinnernde Jacke, wird Veit zum Publikumsliebling.
Karin Seyfried spielt Anatolys russische Ehefrau Svetlana. In dem weiblichen Duett I Know him so well, zwischen Florence und Svetlana, bringt Karin ihre starke Stimme gut zur Geltung.
Gewöhnungsbedürftig und abseits der anderen Charaktere mimt Jens Janke im spacigen Outfit den Arbeiter, der unter anderem auch einen erzählerischen Charakterzug in das Stück bringt. In seinem silbernen Anzug und dem Helm, der an Küchensiebe erinnert, schwebt er zeitweise über der Bühne und setzt hilfreiche Lichtakzente, wenn das Spektakel auf der Bühne zu groß wird. Durch diese Akzente kann das Hauptgeschehen trotz der vielen Darsteller auf der Bühne beinahe problemlos verfolgt werden. Auch Jens besticht mit seiner starken Stimme, auch wenn sein Charakter nicht eindeutig gedeutet werden kann.
Neben diesen fünf großen Namen der Musicalszene wartet das Stück neben einem ausdrucksstarken und imposanten Chor auch mit bemerkenswerten Nebencharakteren auf. Michael Pflumm und Frank Bahrenberg mimen die konkurrienden und teilweise intriganten Seiten, denen es nicht allein um das Schachspiel geht, sondern den Kampf zwischen Amerika und Russland auf dem Brett ausfechten möchten. Frank Bahrenbergs tiefe Stimme passt perfekt in das Bild eines Russen und hat durchaus das Potenzial dem Besucher einen Schauer über den Rücken zu jagen. Michael Pflumm hingegen haucht mit seiner Tenorstimme dem Amerikaner Leben ein. Mit politischen Schachzügen versuchen beide das Spiel zu beeinflussen.
Neben dem wandelbaren Bühnenbild beeindrucken die ausdrucksstarken Tanzszenen, in denen neben den Studenten der Osnabrücker Musicalschule auch das übrige Ensemble zum Einsatz kommt. Mit viel Charme und Witz mimen die Herren des Ensembles unter anderem Bürokraten als Anatoly einen Antrag auf Asyl stellen möchte.
Das durchaus auch zum Nachdenken anregende Stück ist nicht allein wegen großartiger Stimmen, sondern wegen ihrer detailreichen Umsetzung einen Besuch im Bielefelder Stadttheater wert.
Bericht und Fotos: Sabine Dettloff für Musicalfotojournalismus