Peace, Love, Freedom, Happiness!!! Wenn George Berger die Augs-„Burger“ zum ausflippen verführt…

_MG_9403haih1pEs regnete wie aus Eimern und es schein fast so, als könne die Premiere des Rock-Tribute Musicals „Hair“ am 29.06.2013 nicht stattfinden. In Augsburg auf der ältesten Freilichtbühne Süddeutschlands warteten die Hippies ungeduldig, ob sie heute Abend ausflippen durften. Doch gegen 20.45 Uhr versiegte der letzte Tropfen am Himmel und der Vorhang ging auf für ein buntes und flippiges Spektakel. Das Wetter hielt, wenn es auch recht frostig war und die Besucher sich in dicke Winterjacken und Decken wickelten.

Nochmals kurz zur Geschichte von HAIR (MFJ hat bereits oft berichtet und die Facts dürften mittlerweilen dem meinsten bekannt sein). Das Musical wurde am 17. Oktober 1967 in einem Off-Broadway-Theater uraufgeführt, am 29. April 1969 feierte „Hair“ im Biltmore Theatre am Broadway Premiere. Ein halbes Jahr später ließ sich London vom Hippiewahn anstecken und auch Deutschland ist einen Monat später infiziert und bringt die deutsche Erstaufführung in München in einem kleinen Theater an der Brienner Straße auf die Bühne.
Seitdem ist „Hair“  ein beliebtes Bühnenstück, das alljährlich nicht nur Deutschlandweit zahlreiche Inszenierungen durchlebt. Im Vergleich mit den vergangenen Bühnendarstellungen lehnt sich „Hair“ in Augsburg an die ursprüngliche Bühnenfassung an.  Anhänger des Kinofilms vom Jahr 1979 mögen an dieser Stelle leicht verwirrt sein. Im Film ist es George Berger, Anführer der Hippies, der am Ende sein Leben im Vietnamkrieg lässt, auf der Bühne ist es Claude Huber Burkowski, Soldat, der stirbt.

_MG_6464haih2pDie Inszenierung von Manfred Weiß kann man jetzt schon als herausragend bezeichnen. Zusammen mit den Choreografien von Natalie Holtom in Verbindung mit dem Bühnen- und Kostümbild von Timo Dentler sowie Okarina Peter ist dem Augsburger Theater ein fulminates, rockiges und flippiges Bühnenstück mit Drive gelungen, das sich weit über die Tore Augsburgs hinweg sehen lassen kann.  Hair überrascht, reißt mit und hinterlässt Eindruck. Hier wird die Leidenschaft, die freie Liebe, dem unbegrenzten Drogenkonsum statt gegeben und das wird auch ungeniert ausgelebt. Diese Inszenierung ist das Beste, was es an Hairproduktionen in den letzten Jahren gegeben hat. Bravo! Kein Wunder, dass euphorischer Applaus inmitten der Songs und Standing Ovations am Ende ein MUSS ist.

Die musikalische Leitung unterliegt Eberhard Fritsche, der mit Tempo und offensichtlicher Freude und Hingabe seine Musiker antreibt und zur Höchstform auflaufen lässt. Auch die Statisterie sowie das Ballett des Theaters zeigt, was sie können und unterstreichen maßgeblich den Gesamteindruck der Inszenierung.

In den USA begeht man das Ende der 60’er Jahre. Der junge Claude Bukowski hat es sich zum Ziel gesetzt sein ländliches Oklahoma zu verlassen um in den Vietnamkrieg zu ziehen. Stolz aber auch mit einer gewaltigen Portion Naivität setzt er sich in den Bus und fährt nach New York. Dort trifft er im Hippie-beliebten Central Park auf George Berger, Anführer einer Hippiegruppe. Die Hippies haben es sich zum Ziel gesetzt „Peace, Love, Freedom and Happiness“ auf ihre ganz eigene Art auszuleben. Sie widersagen jeglichem politischen Denken und setzen sich gegen Krieg, Rassismus und soziale Ungerechtigkeit ein. Mit ihnen erlebt Claude, zunächst sehr verschlossen, jedoch durch den Rausch von Drogen schnell gelockert, ein paar ereignisreiche Tage  Er verliebt sich zudem in Sheila, Tochter einer gutsituierten New Yorker Upper Class Familie. Etwas unglücklich verlässt er die extrovertierte Gruppe schließlich und zieht nach Nevada weiter, wo die Armee ihren Stützpunkt hat.

Doch ein George Berger hat trotz seiner Überzeugungen viel Herz und erkennt Claudes Gefühle für diese Frau. Er beschließt mit der Gruppe nach Nevada zu fahren, Sheila selbstredend im „Gepäck“ um Claude zu besuchen. Die Truppen dort sind bereits in Alarmbereitschaft und so darf keiner das Camp verlassen. War die Reise von mehreren Meilen durch Amerika umsonst?…

_MG_6002haih2pDie Inszenierung ist mehr als nur eine gelungene Bühnenshow. Das Theater Augsburg beweist hier mal wieder, dass es mit seiner Freilichtbühne den ganz großen Inszenierungen auf jeden Fall das Wasser reichen kann. Bunt, schrill, verrückt ist das Spektakel, das sich den Zuschauern über in rund 2 Stunden und 45 Minuten bietet. Die Bühne ist mit ihrem Wall perfekt in das Stück integriert und beeindruckt mit einem dennoch aufwändigen Bühnenbild, reichhaltig Requisite und vor allem liebevoll gestalteten Kostümen. Spielt sich im unteren Segment die Hippiszene ab, so wird der obere  Bereich des Walles als Station der US Army genützt, bei dem die Soldaten rekrutiert werden. Hier hat man an Ideenvielfalt nicht gespart. Sämtliche Aufgänge zum Publikum werden von den Protagonisten integriert und dem Publikum gefällt’s.

Hier in Augsburg ist keine Spur von einer abgespeckten Bühnenversion zu merken. Es wird geklotzt, nicht gekleckert und das tut dem Ruf des Musicals sehr gut. Sind es doch gerade die Großproduktionen aus dem Ausland, die in der Kritik stehen, mit knapp 200 Euro pro Karte eine Diätversion eines Stückes  präsentiert zu bekommen, bei dem sogar die Musik vom Band eingespielt wird.  In Augsburg wird live gespielt, Karten gibt es zwischen 17 und 45 Euro. Hier macht Musical rundum Spaß.

_MG_5309haih1pVon Langatmigkeit kann bei Hair keine Rede sein. Rasant und rockig geht es bereits los. Die Sänger binden ihr begeistertes Publikum, wann immer nur möglich ins Geschehen mit ein. Die Show kann sich sehen lassen und packt vom ersten bis zum letzten Takt. Dies aber liegt vor allem an einer wunderbaren und mehr als gelungenen Mischung der Protagonisten, die hier auf der Bühne offensichtlich ihren Spaß haben und optisch, gesanglich und schauspielerisch einen echten Leckerbissen abliefern.

Berger: Andy Kuntz
Woof: Christopher Busietta
Hud: Alvin Le-Bass
Claude: Ulrich Rechenbach
Jeanie: Lea Sophie Salfeld
Dionne: Tertia Botha
Crissy: Cathrin Lange
Sheila: Jeanette Claßen
Natalie: Veronika Hörmann
Mary: Laura Joeken
Linda: Stefanie Pütz
Stacy: Corinne Steudler
Karen: Antonia Welke
Walter: Philipp Büttner
Chico: Manuel Dengler
Paul: Christian Fröhlich
Rex: Nico Schweers

Extra-Tribe: Katrin Deller, Susanne Kapfer, Julia Koch, Stefan Scheidecker

Ballett des Theaters Augsburg: Stayce Camparo, Yvonne Compana Martos, Ana Dordevic, Coco Mathieson, Janet Sartore, Ami Takazakura, Kelly Tipton, Jacob Bush, Riccardo De Nigris, Joel Di Stefano, Nathan Griswold, Patrick Howell, Piotr Klimczak, Theophilus Veselý
Major: Matthias Ubert

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Claude-Darsteller Ulrich Rechenbach, bietet sogar optisch genau den Claude, den man sich vorstellt. Seine Stimme ist weich und warm, dennoch rockt er die Bühne. Schauspielerisch überzeugt er in seiner Rolle, mal witzig, mal ernst, die innere Zerissenheit zwischen Lebenstraum, leben, wie man möchte und auf der anderen Seite die  Verwantworung und Verpflichtung gegenüber seinem Vaterland nimmt man ihm zweifellos ab. Grandios sein „I got life“… Eine tolle Leistung und zurecht ist er der Publikumsliebling.

Andy Kuntz als Berger kennen viele Augsburger als Judas aus der Inszenierung „Jesus Christ Superstar“, 2006 und 2007, ebenfalls auf der Freilichtbühne in Augsburg. Der Leadsänger der Prog Metal Band Vanden Plas ist kein Unbekannter in der schwäbischen Stadt. Selbstredend stehen ihm die rockigen Passagen besonders, aber auch sein schauspielerischer Witz und seine bespielte Coolness kommen gut an beim Publikum. Er erntet verdient Szenenapplaus.  Highlight war mit unter sein „Donna“.

_MG_5104haih1pBerger’s direktes „Gefolge“ besteht aus: Christopher Busietta (Woof), Alvin Le-Bass (Hud), Lea Sophie Salfeld (Jeanie), Tertia Botha (Dionne), Cathrin Lange (Crissy) und Jeanette Claßen (Sheila). Sie alle bestechen durchgehend mit einem überzeugenden schauspielerischen Können. Stimmlich präsentieren sie ihre Soli mitreißend und auch in den Chorpassagen reißen sie das Publikum binnen Sekunde mit. Augsburg gefällt’s.

Tertia Botha wirkt so klein und zerbrechlich, aber ihre Stimme legt sich wie eine riesige Welle über die Freilichtbühne und erreicht jeden Winkel des alten Gemäuers. Kräftig mit einem guten Touch Soul in der Stimme erschallt ihr „Aquarius“ gleich zu Beginn und überzeugt.

Alvin Le-Bass als Hud hat bereits in Kassel diese Rolle verkörpert. Seine Mimik kommt an, und das Publikum ist sichtlich amüsiert, wenn er mit seinem Bananenröckchen die Bühne mit rasantem Hüftschwung betritt und mitreißt.

Christopher Busietta als Woof wirbelt auf der Bühne und kann mit seinen Kollegen stimmlich und schauspielerisch gut mithalten, auch wenn er aus seiner Rolle mit Sicherheit mehr herausholen könnte.

„Frank Mills“ eine der schönsten Balladen des Stückes, vorgetragen von Cathrin Lange, klassische Solistin am Theater Augsburg. Sie besticht durch ihre liebreizende Art und einer wunderschönen Interpretation des Songs. Witzige Rollen stehen ihr sehr. Die Rolle der Chrissie hat überzeugend verkörpert.

Jeanette Claßen als Sheila tritt eher weniger in den Vordergrund. Oft wirkt sie sehr zurückhaltend, das Auge fällt erst auf sie, wenn sie auch ein Solo singt. Schade, denn auch in ihr steckt großes Potential. Man möchte mehr von ihr sehen und hören.

Last but not least, Lea Sophie Saalfeld als Jeanie. Nebst Rechenbach als Claude war sie unbestritten der weibliche Publikumsliebling. Ihre Art, zu spielen war so amüsant zu beobachten, so glaubhaft, so ehrlich. Als Besucher konnte man sich vor allem mit ihr am besten identifizieren. War nicht jeder schon mal hoffnunglos verliebt und schaltete dabei jeglichen Verstand aus? Dies gelang Saalfeld dermaßen gut, dass es ein gesondertes Lob verdient. Gesanglich unterstrich Saalfeld ihr Schauspiel nahezu perfekt. Sie ist ein echter Gewinn für Augsburg und man kann nur hoffen, dass sie in noch vielen tollen Rollen zu erleben ist. Bravo!

Kommen wir zu den Kostümen. Hier fährt Augsburg schrill, bunt und verrückt auf. Es ist eine Augenweide. Manchmal weiß man als Zuschauer gar nicht, wo man zuerst hinsehen soll, so unterschiedlich und aufwändig präsentieren sich die Schauspieler. Mehr als gelungen sind all die Kostüme in jedem Fall zu bezeichnen, denn sie könnten direkt aus den 70’er Jahren importiert worden sein. Die realistische Umsetzung ist beeindruckend.

_MG_6686haih2pZusammen mit dem Bühnenbild und der Integration des beindruckenden Steinwalls ergibt Hair hier ein Gesamtkunstwerk, das man als Musicalliebhaber wirklich gesehen und gehört haben muss. Natürlich darf eine stilvoll eingesetzte Lichttechnik und eine beeindruckende Pyroshow nicht fehlen. Das gehört schon zum guten Ton von Augsburgs Freilichtinszenierungen, die wie immer dankbar und begeistert angenommen werden.

So stimmungsvoll Hair auch ist, die Thematik selbst ist ernst und beklemmend. Sind es gerade die Kriegsszenen, die eine Totenstille in Augsburg produzieren. Sei es, wenn die jungen Soldaten rekrutiert werden, wenn Schüsse von der Mauer fallen, und Leichensäcke auf die Bühne getragen werden, betont dramatisch unterlegt mit viel Kunstnebel und Hippies, die im Halbkreis herum stehen und betend, fast flehend ein Klagelied ansetzen, gelähmt vor Erschütterung.

Ein riesiger Ballon inmitten der Bühne erhebt sich mit kleinen bunten Laternen und schwebt im zweiten Akt über der Bühne. Dort werden Videoprojektionen gezeigt, wie Claude im Vietnamkrieg kämpft und leidet und letztendlich stirbt.

Alle Details hier aufzuzählen, ob szenisch, musikalisch oder darstellerisch würde in einer Odysee enden. Kurzum: Hair ist  ist ein rundum gelungenes Spektakel. Was fürs Auge und Ohr gleichermaßen, mit hervorragenden, jungen Sängern und Schauspielern vor einer Kulisse, die nicht schöner sein könnte.

Eine tolle Idee ist es auch, dass beim Schlußapplaus die Darsteller nicht einfach nur vortreten, sich verbeugen und verschwinden, nein, sie dürfen allesamt jeder sein Sololied nochmals anstimmen und eine kurze Passage daraus singen.

Termine können unter www.theater-augsburg.de eingesehen werden.
Ticketbuchungen sind unter der Telefonnummer 08 21 – 3 24 – 49 00 möglich.

Spieltermine sind:

Sa 29.06.13 · Di 02.07.13 · Do 04.07.13 · Fr 05.07.13 · Sa 06.07.13 · So 07.07.13 · Di 09.07.13 · Do 11.07.13 · Fr 12.07.13 · Sa 13.07.13 · So 14.07.13 · Di 16.07.13 · Do 18.07.13 · Fr 19.07.13 · Sa 20.07.13 · So 21.07.13 · Di 23.07.13 · Mi 24.07.13 · Do 25.07.13 · Fr 26.07.13 · Sa 27.07.13.

 

Fotos: Nik Schölzel

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