Wer kennt ihn nicht? Charles Dickens. Doch nur wenige wissen, dass er auch eine Kriminalgeschichte geschrieben hat, auch wenn diese durch seinen Tod unvollendet blieb.
Die Geschichte des Waisenjungen Edwin Drood spielt in Cloisterham, der bei seinem Onkel John Jasper lebt. John ist der Gesangslehrer von Rosa Budd, die ebenfalls Waise ist und in einem Mädchenpensionat lebt. Drood ist ein Mann mit zwei Gesichtern, mal erscheint höflich und nur um im nächsten Moment seiner herrischen Ader freien Lauf zu lassen, weshalb Rosa Angst vor ihm hat. Auch fährt John nach London in die Opiumhöhle von Prinzessin Puffer.
Wenig später kommen Helena und Neville Landless ins Spiel, die ebenfalls Waisen geworden sind, und auf die britische Kolonie Ceylon flüchteten. Sie finden in der Obhut von Hochwürden Crisparkle Unterschlupf. Edwin’s arrogante Art gibt Neville Anlass zur Erregung, weshalb die zwei mehrmals aneinander geraten bis sie schließlich handgreiflich werden.
Auf dem Friedhof des Dorfes bauen der Steinmetz Durdles und dessen Gehilfe eine Gruft für die verstorbene Frau des Bürgermeisters Sapseas. Angetrunken treiben sie ihr Unwesen auf dem Friedhof. Zu guter Letzt gibt es noch Bazzard, der mit seiner geltungssüchtigen Art das Geschehen durcheinander bringt.
Da niemand Edwin und Rosa zur Heirat zwingen kann, beschließen sie die Verlobung zu lösen. Auf dem Rückweg zum Haus seines Onkels geraten sie in einen Sturm. Dort hofft der Bürgermeister, dass Edwin und Neville ihre Streitigkeiten beilegen können. Doch während das Gewitter in vollem Gange ist, gehen die beiden gemeinsam zum Fluss.
Von dort wird Edwin nicht wiederkehren und niemand weiß was passiert ist, da er spurlos verschwunden ist. Einzig sein Mantel wird gefunden. Einige Monate später reist der Detektiv Dick Datchery nach Cloisterham und versucht den Fall des verschwundenen Edwin Drood aufzuklären.
Die Geschichte endet abrupt, denn an diesem Punkt starb Charles Dickens ohne einen Hinweis auf das Ende der Geschichte zu hinterlassen.
Wer glaubt, dass dieses Stück ein Musical wie jedes andere sei, der wird vermutlich schon beim Lesen der Beschreibung merken, dass dies nicht der Fall ist. Allerdings ahnt man nicht, dass das Publikum direkt von Beginn an angesprochen und in das Geschehen einbezogen wird. Dies verleiht dem Stück seinen ganz eigenen Charme.
Gerhard Mohr, der eindrucksvoll und mit bemerkenswerter Stimme den Prinzipal spielt, stellt zu Beginn nicht nur die Rollen, sondern auch die Darsteller vor. Anfangs ist dies doch etwas verwirrend, aber es belebt den Abend ungemein. Seinen Worten zufolge muss Roberta Valentini ihre erotischen weiblichen Formen verstecken, um den Edwin Drood zu spielen. Bemerkenswert mimt sie die Arroganz des jungen Mannes und lässt ihre Stimme in neuen Tönen erklingen, die ihr wirklich sehr gut stehen. Es ist beeindruckend wie sie in die Rolle eines Mannes schlüpft. Das Theater Münster hat mit Roberta Valentini eine großartige Stimme und große Musicaldarstellerin Deutschlands engagiert.
Dem Prinzipal zufolge muss der Darsteller des John Jasper ein exzellenter Sänger sein, weshalb kein geringerer als Alex Herrig für diesen Part engagiert wurde, der immer wieder für gesangliche, aber auch spielerische Gänsehautmomente sorgt. Eindrucksvoll mimt er den arroganten, herrischen Mann.
Rosa Budd wird charmant und lieblich von Julia Lißel dargestellt. Zu Beginn wirkt sie einfach nur süß in ihrem roten Kleid und man ahnt nicht welch eindrucksvolle Stimmgewalt hinter ihrer zierlichen Person steht.
Peter Jahreis spielt Hochwürden Crisparkle auf eine imposante Art und Weise, die Erinnerungen an Filme weckt.
Einen etwas diffusen Eindruck hinterließen die Geschwister Landless, die von Johanna Marx und Dennis Laubenthal gespielt werden. Helena Landless erinnert immer wieder an Prinzessin Jasmin aus Aladdin, während Neville an den dunkelhäutigen Vampir Laurent aus Twilight erinnert.
Aurel Bereute und Tom Ohnerast imponieren als Durdles und dessen Gehilfe durch ihre komische Art. So erinnern sie des Öfteren an Dick und Doof oder anderen Komiker-Paare. Zu Recht ernten sie für ihre Darbietungen Szenenapplaus.
Den wohl größten Szenenapplaus des Abends bekam Ilja Harjes in der Rolle des Bazzard, als er den Butler am Weihnachtsabend im Hause von John Jasper spielt. Er erinnert dabei an den schusseligen Butler aus „Dinner for one“, wenn er versucht die Doppelflügeltür, die von dem Sturm aufgedrückt wird, wieder zu schließen. In einer mehr als imposanten unbeholfenen Art und Weise versucht Bazzard die Tür zu schließen.
Suzanne McLeod spielt die verruchte Prinzessin Puffer und bringt dabei ihre Stimme eindrucksvoll zum Ausdruck.
Da das Ende des Stückes offen ist, wird das Publikum gebeten über den Mörder abzustimmen. An diesem ersten Abend entschied es sich für Prinzessin Puffer, die in einem Lied ihre Tat erklären durfte.
Diese Inszenierung ist mehr als genial inszeniert worden. Immer wieder gibt es kleine Comedy-Einlagen, die zum einen das Geschehen aufheitern, zum anderen auch für ein wenig Verwirrung sorgen können. Aber nicht nur das, sondern viele kleine Dinge machen diese Show zu einem einzigen Erlebnis. Immer wieder wird Show mit Nicht-Show vermischt und lässt die Brücke zwischen Inszenierung und Zuschauer kleiner werden. Als Beispiel sei hier erwähnt, dass am Ende des Stücks Sitzreihen auf die Bühne gebracht werden und die Hauptcharaktere – oder doch die Darsteller? – dort Platz nehmen. Die erste Entscheidung, ob Edwin wirklich tot ist, wird vom Ensemble entschieden, allerdings darf Roberta bei dieser Entscheidung weder abstimmen noch zuschauen. Nach der einstimmigen Entscheidung, dass Edwin tot ist, wird sie von der Bühne gebeten, spielt bei ihrem Abgang herrlich überspitzt die Empörte und verlässt unter „Bye bye Roberta“-Rufen ihrer Kollegen die Bühne. Die Cast hat Spaß bei diesem Stück und lässt sich das auch anmerken.
Die detailreichen Kostüme und das liebevolle Bühnenbild komplettieren diese Inszenierung. Auch die Tatsache, dass das Orchester durch seine Position auf der Bühne mit dem Stück verwoben ist, rundet die Show ab.
Mit diesem Musical bringt das Theater Münster ein Stück auf die Bühne, dass durch seine liebevolle Art der Inszenierung Großproduktionen in den Schatten stellt.
Die weiteren Termine sind:
Freitag, 22.02., 19.30 Uhr
Dienstag, 26.02., 19.30 Uhr
Donnerstag, 07.03., 19.30 Uhr
Samstag, 16.03., 19.30 Uhr
Samstag, 23.03., 19.30 Uhr
Mittwoch, 27.03., 19.30 Uhr
Freitag, 05.04., 19.30 Uhr
Freitag, 19.04., 19.30 Uhr
Sonntag, 21.04., 15.00 Uhr
Samstag, 25.05., 19.30 Uhr
Freitag, 31.05., 19.30 Uhr
Samstag, 29.06., 19.30 Uhr
Dienstag, 09.07., 19.30 Uhr
Regieteam:
Musikalische Leitung: Thorsten Schmid-Kapfenburg
Inszenierung: Karl Absenger
Bühne & Kostüme: Karin Fritz
Choreographie: Teresa Rotemberg
Choreinstudierung: Inna Batyuk
Dramaturgie: Jens Ponath
Besetzung:
Prinzipal: Gerhard Mohr
Edwin Drood: Roberta Valentini
John Jasper: Axel Herrig
Rosa Budd: Julia Lißel
Hochwürden Crisparkle: Peter Jahreis
Helena Landless: Johanna Marx
Neville Landless: Dennis Laubenthal
Prinzessin Puffer: Suzanne McLeod
Durdles: Aurel Bereuter
Durdles‘ Gehilfe: Tom Ohnerast
Bazzard: Ilja Harjes
Horace: Lars Hübel
Inspizient: Tomasz Zwozniak
Tanztheater Münster
Opernchor
Sinfonieorchester Münster
Statisterie
Copyright der Fotos: Jochen Quast