An diesem 27.1.08 ist viel los im SI-Centrum Stuttgart. Hier und da fühlt man sich etwas zeitlich rückversetzt und man muss beinahe schmunzeln, sieht man ein Musketier gutgelaunt am Tresen eines Pub’s stehen, das genussvoll in einen überdimensional großen Hamburger beißt und dazu ein frisch gezapftes Kilkenny schlürft…..Wäre da nicht die unterschwellig trübende Stimmung, dass es schon wieder einmal Zeit für Abschied ist. Die 3 Musketiere nehmen nach vielen erfolgreichen Monaten Abschied von Stuttgart. Ob und wo sie danach für Gerechtigkeit weiterkämpfen dürfen ist noch nicht bekannt. Ob sie würdig durch die Blue Man Group ersetzt werden, dies zu beurteilen sei jedem Leser an dieser Stelle selbst überlassen.
Highlight des Musicals- Pia Douwes gab dem Publikum die Ehre und schlüpfte wie auch schon in den Niederlanden, in Berlin und zu Beginn der Spielzeit in Stuttgart für die letzten Wochen ins Kostüm der Milady de Winter.
Die Stimmung ist wie zu jeder Derniere eine Mischung zwischen Freude und Trauer, aber auch diese Show sollte die Zuschauer mal wieder „in Staunen oder sogar in Schrecken“ versetzen. Bühne frei für die Helden der Neuzeit vor einem ausverkauften Apollo Theater.
Die Story ist bekannt, darüber ist und wurde viel geschrieben. Setzen wir also die Schwerpunkte in die Geschehnisse, die an diesem Abend die Glanzlichter bildeten. Casttechnisch gab es so einige spannende Änderungen seit der Premiere. Da wäre zum Beispiel der Anführer der Musketiere. Zweifler, die standhaft an dem einzigen wahren Athos – nämlich Marc Clear – klammerten, mussten damit Vorlieb nehmen, dass er die Fronten gewechselt hatte und nun als Kardinal Richelieu in blutrot-goldener Robe die Bühne betrat. Mag man bei den ersten Tönen noch trauern, in dem Wissen, dass man seinen „Engel aus Kristall“ nicht hören wird, so kommt man nicht umher, sich – wenn auch zunächst Wider Willen – mehr und mehr mit ihm als Kardinal anzufreunden. Wer es nach dem ersten Akt noch immer nicht getan hat, wird spätestens im zweiten Akt Frieden mit Clear schließen und feststellen, dass seine Bühnenpräsenz als Kardinal wesentlich majestätischer und noch besser zur Geltung kommt, als es ihm als Athos gelingt. Stimmlich der Rolle durchaus gewachsen unterstreichen seine markanten Gesichtszüge die Verschlagenheit des Charakters Richelieu. Ausgezeichnet Clears Leistung an diesem Abend. Dass er körperlich mehr Beweglichkeit und Frische bei „Nicht aus Stein“ einbringen kann, als im Gegensatz zu Ethan Freeman (Premierenbesetzung Richelieu) steht ohne Zweifel. Die einflussreiche Darstellung dieses stattlichen und attraktiven Kardinals kann erklären, weshalb das französische Volk ihm gehorcht und seine Intrigen unterstreicht. Freeman Anhänger mögen nun aufschreien. Gebt mir eine Sekunden! Vielleicht haben ihn gerade diese durch Freemans Alter mehr Erfahrung und Überzeugung in der Regentschaft abgenommen. Seine tiefere und vollere Stimme kann gerade bei den „fiesen“ Textpassagen überzeugen. Ja es stimmt, er verkörpert wohl eher glaubhaft das Oberhaupt der französischen Kirche. Man merkt hierbei einmal mehr, es gibt immer eine Interessante Mischung, die dazu veranlasst ein Stück mehrfach in unterschiedlichen Besetzungen zu sehen um sich ein Bild machen zu können. Oft steht man am Ende da und kann sich für keine Cast entscheiden, die nun besser oder schlechter gewesen sein soll. Ist das nicht wunderbar?
Was will man über Pia Douwes noch schreiben? Sie steht ja schon als Garant dafür, dass mit ihr die Verkaufszahlen der Tickets schlagartig in die Höhe schießen. Sie ist die einzig wahre Milady. Man überlegt ernsthaft immer wieder, ob Komponist und Texter des Musicals nicht schon direkt an Pia als Besetzung der Milady gedacht hatten, als sie dieses Werk schufen. Dies soll keineswegs Kritik oder Abwertung anderer Milady-Darstellerinnen sein, die ihre Sache, jede für sich mindestens genauso überzeugend und mit viel Herzblut gemacht haben. Pia ist einfach ein Fall für sich. Sie erscheint auf der Bühne und schon tobt der Mob. Es dauert einige Zeit, bis sie überhaupt mit ihrem Text loslegen kann, denn die Begeisterung für die „Göttin unter den weiblichen Darstellerinnen“ scheint einfach ungebrochen. Daran muss einfach etwas sein. Bei ihr weiß man nicht so recht, woran man ist. Mag man Milady im einen Moment hassen, als sie D’Artagnan niederschlägt und sie ihm das Collier abnimmt… oder …. wenn sie mit hasserfüllten Augen „Männer“ ins Publikum schmettert. Im nächsten Moment aber könnte man sie am liebsten sanft in den Arm nehmen und trösten, wenn sie mit der Liebe ihres Lebens, Athos „Wo ist der Sommer“ singt. Pia ist einfach nur unglaublich, denn binnen Sekunden schlüpft sie in verschiedene Charaktere wie ein Gecco der sich verfärbt und passt sich der Umgebung an, wie als wenn sie noch nie jemand anderen verkörpert hätte. Fantastisch!
Herausragend an diesem Abend in jedem Fall Karim Khawatmi. Er ist in jedem Fall ein mehr als würdiger Nachfolger von Marc Clear als Athos. Die Konstellation Marc und Karim als Athos und Marc als Kardinal hat es schon in Berlin so gegeben und hat sich auch hier in Stuttgart wieder bewährt. Er ist auf den ersten Blick schier verwechselbar mit Marc Clear und doch erkennt man in seiner Stimm- und Schauspieldarbietung ganz eigene Züge die ebenso rasch begeistern lassen. Noch nie zuvor habe ich eine so eine rockige Version des „Engel aus Kristall“ gehört. Ist es doch DAS Lied, das immer wieder als Ohrwurm ausgezeichnet wird. Mit dieser Bürde belastet zu werden ist ein schweres Erbe. Doch Karim schafft es seine eigene Interpretation zu schaffen und die „Bude rocken zu lassen“. Selbst eingefleischte Kenner des Stückes, des Songs oder generell des Genres lassen unverkennbar Erstaunen im Gesicht aufblühen, wenn sein Engel rockt. Ich glaube nicht nur die kleinen Mädls und Teenies im Publikum haben mit großen und bewundernden Augen diesen Helden gefeiert.
Nun zu Thomas Hohler, Hauptfigur des Stückes, um den sich letztlich eigentlich alles in dem Stück dreht- D’Artagnan, der „auszieht um Musketier zu werden“. Er war schon bei der Premiere in Stuttgart Firstcast als D’Artagnan. Doch zu dieser Zeit waren die Meinungen noch gespalten bezüglich seiner Leistung und einige Kritiker hatten Rasmus Borkowski (Secondcast) als das bessere Nachwuchsmusketier gefeiert. Nun muss man sagen, dass sich Hohler wirklich enorm entwickelt hat. Stimmlich sowie schauspielerisch ist er über sich hinausgewachsen und hat an Bühnenpräsenz und schauspielerischer Überzeugung stark gewonnen. Er wurde generell lockerer auf der Bühne, vor allem die komödiantische Seite wirkte nun wesentlich glaubhafter. Sein Zusammenspiel mit Constance (Nadine Schreier) war an diesem Abend einfach nur herausragend. Wer litt da nicht mit, als er seine große Liebe, die vergiftet worden war, voller Verzweiflung und Unverständnis für diese Ungerechtigkeit von der Bühne trug? Am Ende bleibt kein Zweifel, wenn er „dran bleibt“ wird noch ein richtiger Held, eben ein wahres Musketier aus ihm.
Zuletzt muss an dieser Stelle noch eine Person hervorgehoben werden, die an diesem Abend wohl eine große Überraschung gewesen sein dürfte. Man kennt sie als persönliche Kammerzofe im Musical „Elisabeth“ von derselbigen, und man kennt sie auch als Dienerin der Königin Anna in „3 Musketiere“. Gegen Ende der Spielzeit übernahm Anna Thorén die Rolle der Königin Anna. Sie trat neben anderen Darstellerinnen in die Fußstapfen von Ann Christin Elvrum, die leider aus gesundheitlichen Gründen aus der Musketiercast ausscheiden musste. Wie geschrieben, sie war die Überraschung des Abends. Noch nie zuvor war meine Meinung so „geteilt“, denn in ihrer Ballade „Geteiltes Leid“ sang sie derart voller Emotionen, dass wirklich jeder im Saal nicht glauben konnte, was er da hörte. Diese Stimmgewalt, dieser Ausdruck, dieses Leid, dass sie in dem Lied transportierte, es lässt sich eigentlich nicht beschreiben. Was blieb war Gänsehaut, Staunen und Ergriffenheit. Und selbst ihrem „Bühnengatten“ Peter Stassen, König Ludwig, flossen die Tränen nur so über die Wangen. Wieso hat sich eine derart fantastische Darstellerin bisher immer nur so gekonnt im Ensemble versteckt? Man darf hoffen, dass Anna künftig in ausgebauteren Rollen zu sehen und hören ist.
Dieser Abend war voller Überraschungen, eine Vorstellung der Superlative und eine unvergessliche Derniere und das trotz allem, dass der gleichnamige Fanclub laut Informationen keine „Sonderacts“ veranstalten durfte. Dies tat der Derniere jedoch keinerlei Abbruch, auch wenn gerade diese Fanclubacts ein unverkennbares Signal dafür sind, dass dies keine normale Show ist. Das Lob, die gerechtfertigte Anerkennung und der grenzenlose Respekt den die Darsteller für diese Leistung verdient haben, dürften sie trotzdem aufgrund des langanhaltenden und schier nicht enden wollenden Applauses entnommen haben. DANKE für eine tolle Zeit, und es gibt sie doch noch, die wahren HELDEN!