Wer kennt sie nicht, die dramatische Geschichte um die letzten 7 Tage im Leben Jesus, betrachtet aus der Judasperspektive? Mit Begriffen wie Angst und Zweifel, Hass und Verrat ließe sich Andrew Lloyd Webbers Story von 1971 ebenfalls definieren. Noch heute scheiden sich weltliche und religiöse Geister daran, ob es sich um ein ernstzunehmendes oder blasphemisches Werk handelt. So ist und bleibt JCS unverwechselbar. Es regt zu Diskussion und Denken an und der Reiz, den die Thematik auslöst, bleibt zeitlos. JCS will weder bekehren noch belehren. Zweifellos aber handelt es sich um einen musikalischen Volltreffer, der es versteht, den Nerv der Zeit einzufangen, denn über Religion und Politik wird seit jeher lamentiert. Auf der Augsburger Freilichtbühne hat das ansässige Theater nun eine Open-Air Version des Klassikers produziert.
Die Premiere, der 29.6.2007, fand an einem milden Juniabend statt. Die frischen Temperaturen der vergangenen Tage verstärkten die Frage, ob Jesus seinen Einzug halten könne. Ja, „es war, als hätt’ der Himmel, die Erde sanft geküsst“ und Jesus, der „zu Gast“ in Augsburg war, brachte mit „Wetterfrosch“ Petrus in seinem Gefolge trocken-mildes Wetter mit. Wenige Minuten vor 21 Uhr öffneten sich die Tore zur größten Freilichtbühne Süddeutschlands. Die Bastei, um 1543 entstanden, bildet den malerischen Hintergrund für diese großartige Bühne. Auf dieser steht lediglich ein rostfarbenes Gerüst und ein Häuflein Müll, bestehend aus ausrangierten Computermonitoren, Säcken und Kisten und erinnert unmittelbar ans Musical „Cats“. Letztes Jahr lockte JCS rund 45000 begeisterte Zuschauer an es bleibt spannend, ob es den 150 Darstellern, die vom 43-köpfigen Philharmonischen Orchester Augsburg musikalisch begleitet werden, auch dieses Jahr wieder gelingt. Chor und Extrachor des Theaters Augsburg unterstützte die Sänger, die Rockband Be#Sharp sorgte für zusätzlichen rockigen Sound. Die musikalische Gesamtleitung lag an diesem Abend bei Manfred H. Lehner. Ballett und Statisterie, beide vom Theater Augsburg, zeigten beeindruckend professionelle Tanzeinlagen. Trotz kleinerer tontechnischer Probleme ist eine brillante Abmischung zwischen Musik und Sängern gelungen. Ein Lob auch an die Lichttechnik, die spektakulären Licht- und Pyro-Effekte zauberte.
Mit Beginn der Ouvertüre schritten die Darsteller seitlich die Treppen hinunter auf die Bühne. Sofort war zu erkennen, dies ist keine im Bibelstyle inszenierte Show. Jeans, Bundeswehrhosen, Muskelshirts und Lederjacken ersetzten naturfarbene Baumwollkleider. Jesus (Thomas Peters) war erst bei genauerem Hinsehen zu identifizieren. Groß, blondes gewelltes Haar, Vollbart … helle Wanderweste, die weiße Hose in Socken gesteckt an den Füßen Turnschuhe, bis hoch an die Waden geschnürt. Judas (Andy Kunz) trägt seine lange dunkle Haarmähne offen, dazu eine schwarze Lederjacke und enge Röhrenjeans. Wenige Takte von „Heaven on their minds“ überzeugten, dies ist ein stimmgewaltiger Judas-Darsteller. Durchweg mit einer tollen konstanten Leistung trug seine Perfomance der Show maßgeblich bei. Der Klassiker „I don’t know how to love him“ sollte zu Tränen rühren, denn Maria Magdalena verzweifelt, zerfließt, schmachtet und leidet durch ihre Liebe zu Jesus. Leider gelingt es Christine Diensberg nicht, diese Gefühle zu vermitteln. Ihr fehlt das Weiche in der Stimme, sie klingt abgehakt und der Ausdruck ergibt mit dem Text kein rundes Ergebnis. Diensberg ist zwar mit ihren blonden Locken schön anzusehen, aber ihre Bewegungen wirken einfach zu selbstsicher. Ihrer Alternativbesetzung Astrid Vosberg hingegen gelang es in der Vorstellung einen Abend später binnen Sekunden mit ihrer Darstellung zu packen und Tränen fließen zu lassen. „Eyecatcher“ der Show ist unumstritten die Szene „Hosanna“. Die Jünger stürmen mit Motorrädern, unter ihnen eine Harley Davidson, auf die Bühne und wirbeln kräftig Staub auf. Spätestens jetzt erwachte Augsburg aus seiner Lethargie. Im Besonderen ist hier Simon Zelot-Darsteller Sven Fliege zu erwähnen. Mit dem Song „Simon Zealotes“ kommt endlich eine junge kraftvoll strotzende Stimme ins Geschehen. Fliege löst Stimmung im Publikum aus, die man bisher vergebens suchte. Im folgenden „Poor Jerusalem“ kann Peters schauspielerisch überzeugen. Man nimmt ihm die sichtliche Aversion gegen Gewalt und Hass ab, als er das Gewehr, das er in der Hand hielt, von sich schob. Peters punktete vorwiegend in ruhigeren Passagen. In der lautstarken Tempelszene bleibt es nicht verborgen, dass ihm die Aggression in der Stimme fehlt. In „Gethsemane“ hatte er stimmlich zu kämpfen, gerade am Ende des Songs, wo sich die Hauptspannung des Liedes befindet, kann er die Höhe nicht halten. Er sinkt eine Oktave tiefer und raubt dem Lied den gesamten Reiz. Seine Alternativbesetzung Christian Venzke hatte einen Tag später hingegen keine Schwierigkeiten damit und setzte seine facettenreiche Stimme überzeugend ein. Angemerkt sei an dieser Stelle, Venzke profitiert von seinen zahlreichen Musicalengagements, die anderen Castmitglieder waren bisher in eher schauspiellastigeren Produktionen zu sehen. Lob auch an die Statisterie des Theaters Augsburg, die auf dem Burgwall mit Feuerspucker das Tempelspektakel beeindruckend und lebendig unterstrich.
Der zweite Teil beginnt mit dem Chor der Jünger Jesus „The last supper“. Wunderschön anzuhören ist diese durchgehend harmonische und stimmige Männerformation. Fackeln, die überall am Geländer angebracht waren perfektionieren die Atmosphäre und vermittelten eine besinnliche Stimmung. Die Schlüsselszene, der „Judas’ kiss“ war besonders beeindruckend. Selbstbewusst geht der Revoluzzer Judas auf Jesus zu, küsst ihn um im gleichen Moment schier verzweifelnd in seinen Armen zusammenzubrechen, als er begreift, dass er soeben Jesus „verkauft“ hat. In „Judas Death“ überrascht Kunz mit seiner stimmlich sanften Seite. In der Reprise von „I don’t know how to love him“ gelingt es ihm die tragisch-verzweifelte Emotion zu wecken, die dieses Lied transportiert. In einem eisernen Paravent löst er schließlich seinen Tod mit einem Kurzschluss aus. Es zischt und flammt und die Ära Judas geht zu Ende. Eine Berg- und Talfahrt der Gefühle ist garantiert, denn schon folgt die Geiselszene. Sie erstickt fast und so ist man erleichtert, als die lang ersehnte „Superstar“-Hymne ertönt, in der Judas im weißen Anzug auf der Wallmauer wie ein Popstar erscheint. Das Ensemble glänzte auch hier wieder, farbenfroh bekleidet mit einer schmissigen Tanz-Choreografie. Der Übergang zur Kreuzigung wirkt nach diesem Feuerwerk der Emotion umso bedrückender. Eisern krachende Schläge untermalen akustisch die Kreuzigung und erzeugen Beklemmung. Das Gelächter des Volkes erblasst, als das Kreuz aufgestellt wird. Staunen machte sich breit, denn man glaubte, Jesus sei auf dem Boden liegend symbolisch gekreuzigt worden, da hebt sich plötzlich aus dem Boden das eingelassene Kreuz empor und steht mitten auf der Bühne- wuchtig und schwer wie ein Mahnmal. Die Musik, ein Gemisch aus Jazztönen, E-Gitarrenklängen und Klavier erzeugt unermessliche Spannung. Mit „Into your hands I comment my spirit“ endet das Leben des Superstars am Kreuz. „Es war etwa um die sechste Stunde, als eine Finsternis über das ganze Land hereinbrach. Die Sonne verdunkelte sich….“ (Lukas 23,44,9). Fast unheimlich wurde es, denn plötzlich fielen einige Regentropfen vom Himmel und Sekunden später schlug die Turmuhr der St. Ulrich/St. Afrakirche 23 Uhr. Gibt es einen perfekteren Ausklang? Dem instrumentalen „John“, folgte tosender und langanhaltender Applaus und stehende Ovationen belohnte alle Mitwirkenden für eine wirklich gelungene und beeindruckende Premiere.
JCS in Augsburg ist ein Beweis dafür, dass fernab teurer und aufwändiger Produktionen auch eine kleinere Stadt sich mit tollen und stimmlich/schauspielerisch qualifizierten Sängern aus der Region durchaus sehen lassen kann. Das Preis-Leistungsverhältnis ist vorbildlich, denn ab 7,50 Euro bis max. 42 Euro kann man auf wirklich allen Plätzen eine hervorragende Sicht genießen.
Erschienen: DaCapo 2007