Schon in der zweite Spielzeit, genauer gesagt seit November 2014, wird das von Erik Gedeon geschriebene Stück „Ewig jung. Ein Songdrama“ am Theater am Alten Markt (TAM) aufgeführt. Vor so gut wie jedes Mal ausverkauftem Hause zeigen die sieben Darsteller unter der musikalischen Leitung von Laurenz Wannenmacher, der auch gleichzeitig auf als alter Mann auf der Bühne am Flügel sitzt, die Inszenierung von Michael Heicks, in der sich die in die Jahre gekommenen ehemaligen noch lebenden Schauspieler, Künstler, Sänger, im Jahre 2050 in ihrer letzten Wirkungsstätte, einem Theater, welches ihnen nun als Alterswohnsitz dient, vor dem Eisernen Vorhang treffen und sowohl in Erinnerungen schwelgen, als auch noch einmal richtig aufdrehen. So singen und tanzen sie, sofern es die Gebrechen des Alters es ihnen ermöglichen und die im Gegensatz zu den Senioren sehr junge Schwester Katharina, gespielt Katharina Solzbacher, es ihnen erlaubt.
Beziehungsweise – was nicht erlaubt ist, wird hinter dem Rücken der Krankenschwester gemacht. Solzbacher verkörpert die strenge Krankenschwester gut, mit ihrem schwarzen Humor singt sie über das Altwerden, Krankheiten, vor denen man im Alter nicht verschont wird und auch das Sterben. Dies nimmt den alten Menschen oftmals ihre, noch ihn ihnen schlummernde, Lebensfreude. Werden sie doch teilweise wieder wie kleine Kinder behandelt, sollen mit klatschen und werden mit lustigen Kinderliedern gequält. Fröhlich und schwungvoll hingegen sind die alten Leute auf der Bühne. Sie schmettern Songs wie „Born to be wild“, „Barbie Girl“ oder „Sex Bomb“ in ihrer ganz eigenen hinreißenden Version und schauen mit einem lachenden und einem weinenden Auge auf ihre Bühnenerfolge und Erlebnisse zurück.
Die Maske hat ganze Arbeit geleistet: Um Jahre gealtert sind die Schauspieler des Theater Bielefelds. Gekonnt zeigen sie die Gebrechen und die Einschränkungen, die das Alter mit sich bringt – Sei es die wackeligen Beine, die schmerzenden Knochen, sie zittrige Stimme oder das Gebiss. In „altersgemäßer“, aber auch teilweise in chicer Kleidung (Kostüme von Franziska Gebhard) treiben sie sich im Theater rum: In größtenteils grau und dunkel gekleidet, stehen da gemütliche Hosen und Röcke, kombiniert mit Wollcardigen und Pullover, im Gegensatz zu Fellmantel, Röckchen mit Glanzstrumpfhose, Spitzenhandschuhen und opulentem Schmuck oder weiß-schwarz karierter Weste mit elegantem rot-schwarzem Seidenbademantel drüber. Kleider machen Leute – dies scheint auch noch im hohen Alter zu gelten. Das Bühnenbild von Michael Heicks zeigt das betagte, nicht mehr für seine eigentlichen Zweck genutzte, Theater: Ein Flügel, ein paar alte, verschlissene Sessel und Requisiten der ehemaligen Produktionen, wie Bilder, bilden den Hintergrund für das Geschehen.
Schön gemacht ist die realistische Darstellung, so haben alle Künstler ihren echten Namen auf der Bühne: Frau Huckel, die Diva, mit Schmuck behangen, war früher, als alles „noch besser“ war, eine ganz Wilde, wie man ihren Erzählungen entnehmen kann, hatte sie ein reges Sexleben und genoss jede Minute. Frau Priego, die noch immer in der Rolle der „Taube“ aufgeht, ist eine liebenswerte, etwas tüddelige alte Frau, die aber teilweise die Reaktionen eines Teenagers und auch kleinen Kindes hat, so kichert sie und jubelt, leicht naiv, bis sie eine Seite an sich zeigt, mit der wohl niemand im Publikum gerechnet hätte. Herr Wachter hat einen agilen Geist, ihn schließt man schnell ins Herz und er begeistert mit seinem Spiel auf der Bühne, sei es als Zaubrer, dem nicht immer alle Tricks gelingen oder in einer Art „Stummfilmszene“ mit Herrn Baierl, der meistens nur auf seinem Stuhl sitzt, die Zunge rausstreckt und ins Publikum schaut, bis er sich dann als Musikfan outet. Herr Wehling spielt seine Rolle flott und kümmert sich rührend um Frau Priego, man merkt gleich, dass die beiden sich mögen.
Das Publikum dankt den Schauspielern diesen lustigen, aber auch teilweise nachdenklichen, zweistündigen Abend, in dem zwischendurch viel gelacht wird, mit viel Applaus und Standing-ovations, nachdem es den Hit „We shall overcome“, ein Protestlied gegen Art von Missständen von Joan Baez, gesungen hat.
Absolut sehenswert, eine Wiederaufnahme ist für Herbst/Winter 2016 geplant. Nähere Infos HIER