Ein wahrer Klassiker wird derzeit im Staatstheater Darmstadt aufgeführt – “Cabaret”. Das weltbekannte Musical über das Berlin Anfang der 30er Jahre des letzten Jahrhunderts. Wir haben es uns nicht nehmen lassen, für euch die Premiere am 30.01. zu besuchen.
Bereits vor Wochen war klar, dass die Premiere vor ausverkauftem Haus stattfinden würde. Umso weniger verwunderlich ist es also, dass das Foyer kurz nach Öffnung bereits mit Menschen gefüllt war. Im Foyer gab es eine kurze Einleitung in das Stück, welche Änderungen vorgenommen wurden und weshalb dieses Stück noch heute so aktuell ist.
Sobald man den Saal betrat, konnte man feststellen, dass die dunkelgraue Wandverkleidung auch auf der Bühne fortgesetzt wurde. Raffiniert gelöst, denn so verschwamm der Übergang von Zuschauerraum und Bühne.
Kurz nach halb Acht war es dann so weit. Die Lichter gingen aus und die vordere Wand hob sich. Dunkelheit, mehr war nicht zu sehen. In der Ferne in weißen Fraktur-Lettern das Wort “Willkommen”. Ein Wort, das vor allem in den letzten Monaten ein wenig an Bedeutung und Ehrlichkeit verloren hat. Unterhalb der immer näher rollenden Buchstaben befindet sich die Bühne des Kit Kat Clubs und der im Vergleich zum riesigen Bühnenbild zwergenhaft erscheinende Conferencier (Michael Pegher) tritt auf. “Willkommen, Fremder” sagt er irgendwann mit einem charmanten Lächeln zum Publikum. Es ist gewiss nicht zu verleugnen, dass auch hier erneut auf die aktuelle Politik Bezug genommen wird. Fraglich, ob das Staatstheater ein solches Statement bereits im Hinterkopf hatte, als sie das Musical auf den Spielplan setzten.
Der Rest des Musicals dürfte mehr oder weniger bekannt sein. Der amerikanische Schriftsteller Clifford Bradshaw (Markus Schneider) kommt in den letzten Zügen der 20er Jahre nach Berlin. Dort macht er am Bahnhof bereits Bekanntschaft mit – wie später bekannt wird – dem nationalsozialistischen Schmuggler Ernst Ludwig (Christoph Bornmüller), der ihm die Pension von Fräulein Schneider (Petra Welteroth) ans Herz legt. Von dort gerät er auch an den Kit Kat Club, an seinen zwischenzeitlichen Liebhaber Otto (Florian Weigel) und an seine verhängnisvolle Liebschaft Sally Bowles (Dorothea Maria Müller). Nicht nur, dass sich Sally Bowles im Anschluss ungefragt bei Clifford einquartiert – nein – sie ist auch bald schwanger. Und die rüstige Fräulein Schneider erlebt mit dem jüdischen Obsthändler Herr Schulz (Thomas Mehnert) ihren zweiten Frühling. Doch auch diese Liebe hat keinen sicheren Stand, als die Nazis die Verlobungsfeier zum platzen bringen.
Die Besetzung könnte treffender kaum sein. Allen voran natürlich das herrliche Zusammenspiel von Dorothea Maria Müller und Markus Schneider. Dass “Cabaret” vor allem von den dargestellten Gefühlen her sehr wechselhaft ist, ist nichts Neues. Doch wenn zwei Darsteller diese Berg- und Talfahrt dann noch überzeugend darstellen, macht es einfach nur Spaß, dem zuzusehen. Dorothea Maria Müller ist – vermutlich bewusst – optisch weit entfernt von der Sally Bowles der oscarprämierten Verfilmung mit Liza Minelli. Dennoch vermag sie es mit ihrer tiefen, rauchigen Stimme alle ihrer Rolle zuteil gewordenen Songs einzigartig zu performen. Michael Pegher als allgegenwärtiger Conferencier des Kit Kat Clubs ist anfangs ein wenig schwer zu verstehen, steigert sich aber im Laufe des Abends enorm.
Thomas Mehnert und Petra Welteroth geben ein so entzückendes Paar ab, dass einem als Zuschauer wahrlich das Herz blutet, wenn man Fräulein Schneider dabei zusehen muss, wie sie die Auflösung der Verlobung vor Clifford und Sally bekannt gibt.
Das Kreativteam hat bei diesem Stück ganze Arbeit geleistet. Die Regiearbeit von Nicole Claudia Weber hat sich wahrlich bezahlt gemacht. Die Bühne von Friedrich Eggert ist zweckmäßig und geschickt gelöst. Auf einer Drehbühne befindet sich ein vierseitiger Kasten. Vorn und hinten sind Bühnen zu sehen. An den Seiten jeweils die Wohnung von Fräulein Schneider und Clifford. Friedrich Eggert war außerdem für die zeitgemäßen Kostüme verantwortlich, die einem durch und durch den Eindruck vermitteln, gerade Vergangenheit und Gegenwart gleichzeitig zu erleben. Wirklich Spaß macht es den Choreographien von Christopher Tölle zuzusehen. Lobend zu erwähnen sind hier auch die Cabaret-Girls und -Boys (Marianne Curn, Nina Bülles, Marc Baumann, Claudia Artner, Steven Klopp, Lena Lafrenz und Dance Captain Ellen Wawrzyniak) die diese Choreographien dann auch auch auf die Bühne bringen.
Ein Großteil der Songs wird zunächst auf englisch gesungen und etwa ab der Mitte auf deutsch fortgesetzt (so etwa bei “Don’t tell mama”, “Perfectly Marvelous”, “Cabaret”). Dies unterstreicht im Gegensatz zu den ausschließlich auf deutsch gesungenen Songs von Fräulein Schneider und Herr Schulz, dass Clifford und Sally eigentlich aus englischsprachigen Ländern stammen ganz passend.
Wie auch der Conferencier am Anfang und Ende des Musicals sagt, “ist auch das Orchester wunderschön”, das den Orchestergraben gut ausfüllt und mit seinen Klängen sogar bis in die hinterste Reihe gut hörbar ist. Große Ensemblenummern (beispielsweise “Der morgige Tag ist mein” am Ende des ersten Akts) werden außerdem von dem großen Opernchor des Staatstheaters unterstützt, was richtiges Broadwayfeeling aufkommen lässt.
Am Ende hoffen alle, dass das aufziehende Unwetter vorbei zieht und der Conferencier löscht die Lichter des großen, wieder in die Ferne gerollten, Schriftzuges. Und dann ist der Spuk vorbei.
Wer die Möglichkeit hat, sich das Musical in Darmstadt anzusehen, sollte dies unbedingt tun. Das Stück ist noch bis voraussichtlich 16.07.2016 dort zu erleben.